Mistreß Branican
unter der Bedingung, daß Nô Dolly und seine Frau begleite. Das war übrigens nur eine Vorsicht. Der Weg, die frische Luft konnten bei Dolly einen Anfall hervorrufen, vielleicht in ihr einen Fluchtgedanken erregen, und Jane hätte nicht die Kraft gehabt, sie aufzuhalten. Man muß bei einer Irrsinnigen Alles voraussetzen… Man darf sie nicht in ein neues Unglück treiben…
Eines Tages ging Mrs. Branican aus, gestützt auf den Arm Janes. Sie ließ sich wie ein theilnahmsloses Wesen führen, ging, wohin man sie führte, ohne das geringste Interesse zu nehmen.
Im Anfange dieser Spaziergänge machte sich Alles gut. Doch bemerkte die Mulattin bald, daß der Zustand Dollys ein anderer wurde, indem ihrer gewohnten Ruhe eine gewisse Aufregung folgte, die schwere Anfälle nach sich ziehen konnte. Manchmal rief der Anblick von Kindern, denen sie begegneten, bei ihr eine nervöse Aufregung hervor…. Erinnerte sie sich vielleicht an das, was sie verloren hatte?… Fiel ihr Wat ein? Wie dem auch sein mochte, wenn man darin ein günstiges Symptom erblicken konnte, so folgte doch gewöhnlich eine heftige nervöse Aufregung, die von Natur aus das Uebel nur vergrößern mußte.
Eines Tages hatten Jane und die Mulattin die Kranke auf die Anhöhe des Knob Hill geführt. Dolly hatte sich niedergesetzt und sah gegen den Horizont des Meeres, aber sie schien gedankenlos zu sein, wie ihre Augen leer von jedem Blicke waren.
Plötzlich belebte sich ihr Gesicht, ein heftiges Zittern durchzuckte ihren Körper, ihr Auge erhielt einen eigenthümlichen Glanz, und mit zitternder Hand zeigte sie auf einen Punkt in der Ferne.
»Dort!… Dort!…« rief sie.
Es war ein Segelschiff am Horizonte, dessen helle Weiße ein Sonnenstrahl erglänzen ließ.
»Dort!… Dort!…« wiederholte Dolly.
Und ihre tieferregte Stimme schien nur noch einem menschlichen Wesen zu gelten.
Während Jane sie mit Schrecken ansah, schüttelte die Mulattin mit dem Kopfe. Sie nahm Dolly schnell bei dem Arme und rief:
»Kommen Sie!… Kommen Sie!«
Dolly hörte sie nicht.
»Komm, liebe Dolly, komm!…« sagte Jane.
Sie suchte sie fortzuziehen, ihre Blicke von dem Horizonte abzubringen, wo ein Schiff deutlich erschien.
Dolly widersetzte sich.
»Nein… Nein!« rief sie.
Mit diesem Ausrufe stieß sie die Mulattin mit einer Kraft zurück, die man ihr gar nicht zugetraut hätte.
Mrs. Burker und Nô fühlten sich ungemein beunruhigt. Sie konnten fürchten, daß Dolly ihnen entlaufe – da sie diese Erscheinung mächtig anzog, weil sie sich an John erinnerte – daß sie die Abhänge des Knob Hill hinabeile und sich in das Meer stürze.
Aber plötzlich legte sich diese Aufregung wieder. Die Sonne war eben hinter einer Wolke verschwunden und das Segel war nicht mehr zu sehen.
Dolly fiel wieder in ihre Theilnahmslosigkeit zurück, ihr Blick erlosch, sie wußte nichts mehr von ihrer Lage. Das Stöhnen, welches sie ausgestoßen hatte, war verschwunden, wie wenn das Leben sich wieder in ihre Brust zurückgezogen hätte. Nun nahm Jane sie bei der Hand; sie ließ sich ohne Widerstand fortführen und ging ruhig in das Prospect-House.
Von jenem Tage an beschloß Len Burker, Dolly nicht mehr außer dem Hause spazieren gehen zu lassen, und Jane mußte damit einverstanden sein.
Um diese Zeit war es, daß Mr. William Andrew beschloß, den Capitän John von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, da der Zustand der Mrs. Branican keine Besserung hoffen ließ. Er schickte die Depesche nicht nach Singapore, das der Franklin schon verlassen haben mußte, sondern nach Calcutta, so daß John dieselbe bei seiner Ankunft in Indien vorfinden würde.
Unterdessen war aber, obwohl Mr. William Andrew nach dem Ausspruche der Aerzte keine Hoffnung mehr auf Besserung Dollys hatte, doch noch eine solche möglich, wenn sie einer heftigen Erschütterung ausgesetzt wurde, z. B. an dem Tage, wo ihr Gatte vor ihr stehen würde. Dieser Hoffnungsstrahl, es ist wahr, war der einzige, der übrig blieb, und so schwach er auch war, so wollte ihn doch Mr. William Andrew in der langen Depesche an John nicht verschweigen. Indem er ihn tröstete und ihn bat, nicht ganz zu verzweifeln, gab er ihm die Berechtigung, das Commando Harry Felton zu übergeben und so schnell wie möglich nach San-Diego zurückzukehren. Dieser ehrliche Mann hätte seine theuersten Interessen geopfert, um den letzten Versuch mit Dolly zu machen, und er forderte den jungen Capitän auf, ihm telegraphisch mitzutheilen, was er zu
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