Mistreß Branican
in den letzten Jahren theilgenommen hatte, hätte nur er sagen können. Ja, nur er, denn Jane, die in irgend einer Ortschaft zurückgelassen wurde, wußte nichts von den verbrecherischen Thaten. Vielleicht klebte an den Händen dieses Mannes sogar Blut, und doch wagte sie nicht, ihn zu verrathen.
So waren zwölf Jahre verflossen und die Auffindung Harry Felton’s hatte von neuem die öffentliche Aufmerksamkeit auf den »Franklin« gelenkt. Da die verschiedensten Zeitungen und Blätter Australiens diese Nachricht brachten, so konnte sie auch Len Burker nicht verborgen bleiben, der sie in dem »Sydney Morning Herald« in einer kleinen Ortschaft von Queensland las, wohin er sich nach einem Plünderungszuge vor der nachsetzenden Polizei geflüchtet hatte.
Zu derselben Zeit, als er von der Auffindung Harry Felton’s las, vernahm er auch, daß Mrs. Branican San-Diego verlassen habe und nach Sydney komme, um mit dem zweiten Officier sprechen zu können. Fast ebenso rasch verbreitete sich das Gerücht, daß Harry Felton gestorben war, nachdem er sichere Angaben gemacht hatte.
Ungefähr vierzehn Tage später hörte Len Burker, daß Mrs. Branican in Adelaïde ausgestiegen sei, um eine Karawane zu organisiren, an der sie theilnehmen würde und die den Zweck habe, die Wüsten der Mitte und des Nordwestens von Australien zu durchforschen.
Als Jane die Ankunft ihrer Cousine auf dem Continente erfuhr, war ihr erster Gedanke, sich zu ihr zu flüchten, aber da sie die Drohungen Len Burker’s fürchtete, wagte sie es nicht.
Jetzt entwarf der Elende einen Plan, der ihm endlich die gewünschte Zukunft erschließen sollte. Die entscheidende Stunde war gekommen. Er wollte Mrs. Branican auf ihrer Route begegnen, sie bitten, sie begleiten zu dürfen, was Alles sicher ganz leicht zu erlangen sein würde. Es war kaum wahrscheinlich, daß der Capitän John, angenommen er lebte noch, bei den Eingebornen gefunden würde, und es war möglich, daß Dolly den Strapazen dieser gefährlichen Reise unterlag. Ihr ganzes Vermögen käme dann auf Jane, ihre einzige Verwandte… Wer weiß?… Es giebt so viele Zufälle… wenn man das Talent hat, sie herbeizuführen…
Wohl verstanden, Len Burker hütete sich wohl, Jane von seiner Absicht, sich wieder Mrs. Branican zu nähern, in Kenntniß zu setzen. Er trennte sich von den Wegelagerern, ohne auf ihre Dienste für später vollständig zu verzichten, wenn es sich von neuem um einen Handstreich handelte.
Man mußte daher eine Furt suchen. (S. 222.)
In Begleitung Janes verließ er Queensland und begab sich nach Lady-Charlotte, das nur etwa hundert Meilen entfernt war und welche Ortschaft die Karawane auf dem Wege nach Alice-Spring berühren mußte. So flossen drei Wochen hin. Len Burker befand sich in dem »Run« Waldek-Hill als Aufseher; hier erwartete er Dolly, fest entschlossen, vor keinem Verbrechen zurückzuschrecken, das ihn in den Besitz der Erbschaft bringen konnte.
Als Jane nach Lady-Charlotte kam, ahnte sie noch gar nichts. Wie groß mußte ihre Ueberraschung, man möchte eher sagen, Bestürzung gewesen sein, als sie sich so unerwartet Mrs. Branican gegenüber befand.
Len Burker war damals fünfundvierzig Jahre alt und er hatte noch immer jenen lauernden falschen Blick, jenes heuchlerische Gesicht, das sofort Mißtrauen erweckte.
Was Jane anbelangt, so schien sie um zehn Jahre älter zu sein, als sie wirklich war. Die Gesichtszüge waren verwelkt, die Haare an den Schläfen gebleicht, der ganze Körper schwach. Aber ihr Auge bekam doch Glanz, der durch die Leiden schon fast ganz erloschen war, als sie Dolly erblickte.
Nachdem Mrs. Branican Jane in ihre Arme geschlossen hatte, führte sie dieselbe in das Zimmer, das ihr von dem Farmer in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt worden war. Hier gaben sich die beiden Frauen ganz ihren Gefühlen hin. Dolly erinnerte sich nur an die Pflege, mit der Jane sie im Prospect-House umgeben hatte. Sie hatte ihr nichts vorzuwerfen und war bereit, ihrem Gatten zu verzeihen, wenn er bereit wäre, sich nicht mehr von ihnen zu trennen.
Mrs. Branican hätte keinen besseren Führer finden können. (S. 223.)
Beide sprachen lange miteinander. Jane erzählte von ihrer Vergangenheit nur das, was sie sagen konnte, ohne Len Burker zu compromittiren, und Mrs. Branican fragte sie auch nicht weiter. Sie fühlte, wie sehr diese Arme gelitten hatte und noch litt. War das nicht genug, daß sie ihres Mitleides, ihrer Liebe würdig war? Die
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