Mistreß Branican
welchen Umständen dieser betrügerische Curator und alte Sünder von San-Diego flüchten mußte, konnte er sich auch von dem Leben, daß er seit vierzehn Jahren in Australien führte, viel Schlechtes denken… Doch machte er keine weitere Bemerkung, da er sah, wie glücklich Dolly sich fühlte, Jane in ihrer Nähe zu haben; in seinem Innern aber nahm er sich vor, Len Burker nicht aus den Augen zu verlieren.
Dieser Tag verlief ohne weiteren Zwischenfall. Len Burker, der nicht mehr gesehen wurde, traf seine Vorbereitungen zur Abreise und regelte seine Angelegenheit mit dem Squatter von Waldek-Hill. Letzterer machte ihm weiter keine Schwierigkeiten und erbot sich sogar, seinem ehemaligen Aufseher ein Pferd zur Verfügung zu stellen, damit er die Karawane bis Alice-Spring begleiten könne, wo sie reorganisirt werden sollte.
Dolly und Jane blieben den ganzen Nachmittag und Abend im Hause von Waldek-Hill. Dolly vermied es, von Len Burker zu sprechen und machte nicht die geringste Anspielung auf das, was seit der Flucht von San-Diego vorgegangen war, da sie einsah, daß Jane dies nicht sagen konnte.
An jenem Abende kamen weder Tom Marix noch Godfrey in die Farm von Waldek-Hill, da sie auf Recognoscirung nach den ansässigen Eingebornen geritten waren, die in der Nähe von Lady-Charlotte ihre Dörfer hatten. Erst am folgenden Tage hatte Mrs. Branican Gelegenheit, Jane ihren Adoptivsohn Godfrey vorzustellen.
Jane war von der auffallenden Aehnlichkeit dieses Knaben mit dem Capitän John so betroffen, daß sie ihn nicht anzusehen wagte. Welche Gefühle durchwogten ihre Brust, als ihr Dolly erzählte, unter welchen Umständen sie ihm an Bord des »Brisbane« begegnet war… ein Findelkind aus den Straßen von San-Diego, im Wat-House erzogen… ungefähr vierzehn Jahre alt…
Jane hörte, bleich wie der Tod, diesen Worten mit der größten Bestürzung zu.
Als Dolly sie allein ließ, fiel sie auf die Knie und rang die Hände; dann belebten sich ihre Züge…
»Er!… Er! rief sie bewegt aus. Er!… bei ihr!… Gott hat es so gewollt!«
Einen Augenblick darauf verließ Jane Waldek-Hill und eilte in die Hütte, die ihr und ihrem Gatten als Wohnung diente. Len Burker schnürte eben ein Bündel zu, in dem sich einige Kleidungsstücke und andere nothwendige suchen für die Reise befanden. Als er Jane bleich hereinstürzen sah, erschrak er.
»Was giebt es? fragte er barsch. Sprich doch!… Wirst Du sprechen?… Was giebt es?
– Er lebt! rief Jane… Er ist hier… bei seiner Mutter… er, den wir für…
– Bei seiner Mutter… Er lebt… Er?… erwiderte Len Burker, der wie vom Blitze getroffen dastand. Er hatte nur allzugut verstanden, wer »Er« war.
– Er!… wiederholte Jane. Er… das zweite Kind Johns und Dollys.«
Eine kurze Erklärung wird genügen, um uns mit dem bekannt zu machen, was vor Jahren im Prospect-House vorgefallen war.
Einen Monat nach der Uebersiedlung in das Haus zu San-Diego bemerkten Mr. und Mrs. Burker, daß die geisteskranke Dolly zum zweitenmale Mutter werden sollte. Geschickt von der Mulattin Nô bewacht, wurde Dolly, trotz der flehentlichen Bitten Janes, vor allen Freunden und Bekannten verborgen gehalten, indem man ihre Krankheit zum Vorwande nahm. Sieben Monate später brachte die unglückliche Frau ein zweites Kind zur Welt, ohne daß eine Spur davon in ihrer Erinnerung haften geblieben wäre. Da um diese Zeit der Tod des Capitän John schon allgemein angenommen wurde, so durchkreuzte dieses Kind auf einmal die Hoffnungen Len Burker’s auf die Erbschaft Dollys. Aus diesem Grunde wurde nun das ganze Dienstpersonal im Prospect-House entlassen, und Dolly von allen Besuchern ferngehalten, ohne daß Jane sich diesen verbrecherischen Vorgängen ihres Mannes hätte widersetzen können. Das Kind wurde einige Stunden nach seiner Geburt von Nô in einer Straße von San-Diego ausgesetzt, glücklicherweise von einem Vorübergehenden gefunden und in das Findelhaus gebracht. Acht Jahre nach der Gründung von Wat-House ging der Knabe zur See. Jetzt erklärt sich die große Aehnlichkeit Godfreys mit dem Capitän John, seinem Vater, und jetzt sind uns die Gefühle verständlich, welche Dolly, die noch immer Mutter war, ohne es zu wissen, zu diesem Kinde hinzogen.
»Ja, Len, rief Jane, er ist es! Es ist ihr Sohn!… Wir müssen Alles gestehen.«
Aber dies hätte von neuem seine Pläne durchkreuzt. Er fluchte, drohte und schwor; dann faßte er Jane bei der Hand, sah ihr fest in die Augen und
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