Mistreß Branican
Spuren riechen, so weigern sie sich weiterzugehen.
– Warum mag das sein? fragte Dolly.
– Den Grund kennt man nicht genau. Aber es ist wahrscheinlich, daß die ersten Ochsen, die in Australien importirt wurden, von den Eingebornen so mißhandelt wurden, daß sie sich dies nicht nur merkten, sondern auch auf die späteren Generationen vererbten.«
Mag nun diese Erklärung richtig sein oder nicht, man brachte die Ochsen nicht dazu, ihren Weg weiter fortzusetzen. Man mußte sie ausspannen, sie umdrehen und mit Peitschenhieben zwingen, zwanzig Schritte nach rückwärts zu machen. Auf solche Weise überschritten sie den Pfad, und als sie wieder eingespannt wurden, setzten sie den Weg ruhig fort.
Als die Karawane die Ufer das Flusses Macumba erreichte, konnte jeder derselben, Mensch wie Thier, seinen Durst löschen.
Am 10. October machten sie in der Station Lady-Charlotte Halt, nachdem sie dreihundertzwanzig Meilen von Farina aus zurückgelegt hatten. Sie befanden sich jetzt an der Grenze zwischen Südaustralien und Alexandra-Land, das von Stuart im Jahre 1860 erforscht wurde.
Sechstes Capitel.
Eine unerwartete Begegnung.
Auf der Station Lady-Charlotte ersuchte Tom Marix Mrs. Branican um eine Rast von vierundzwanzig Stunden, da die Zugthiere wegen der großen Hitze sehr abgemattet waren. Dolly sah das ein, und man lagerte sich nun, so gut es ging. Die Station bestand nur aus einigen Hütten, deren Bevölkerung die Karawane während eines Tages verdreifachte. Ein Trapper, der in der Nähe ein hübsches Haus hatte, bot Mrs. Branican eine bequemere Unterkunft an, die sie auch annahm, indem sie sich nach Waldek-Hill begab.
Dieser Trapper war nur Pächter einer jener ungeheuren Besitzungen, Runs genannt, die sich in Australien vorfinden. Ein solcher Run umfaßt bis sechstausend Hektar, besonders in der Provinz Victoria. Obgleich Waldek-Hill eine solche Größe nicht hatte, so war es doch nicht unbedeutend. Umgeben von Pallisaden, diente die Ansiedlung besonders zur Schafzucht, weshalb eine Menge Schäfer, Züchter und andere Leute mehr da waren. Der salzige Boden brachte es mit sich, daß man gerade hier einen günstigen Platz für die Schafzucht erkannte.
Um diese Zeit begann eben in Waldek-Hill die Schafschur, und seit einigen Tagen befanden sich eine Menge herumreisender Scheerer dort, um ihr einträgliches Gewerbe auszuüben.
Als Mrs. Branican in Begleitung von Zach Fren die Pallisaden von Waldek-Hill durchschritten hatte, war sie von dem regen Leben überrascht, welches dort herrschte. Die Arbeiter verloren keine Minute. Das Krächzen der Scheere, das Blöcken der Schafe, die Rufe der Männer zu einander, dieses Kommen und Gehen mit den Körben, in denen die Wolle fortgetragen wurde, war sehr interessant. Ueberall, wo viele Arbeiter sind, müssen auch Aufseher sein, von denen sich auch einige in Waldek-Hill befanden. Auf solche Weise verdienen sich Frauen wie Männer ihren Lebensunterhalt.
Wie groß war aber die Ueberraschung der Mrs. Branican – eigentlich nicht Ueberraschung, sondern Bestürzung – als sie plötzlich hinter sich ihren Namen hörte.
Eine Frau stürzte herbei, warf sich auf die Knie und hob flehend die Hände zu ihr empor…
Es war Jane Burker… Jane, weniger durch die Jahre als durch Kummer gealtert, das Haar ergraut, mit fast unerkennbaren Gesichtszügen, die Dolly aber doch erkannte.
»Jane!« rief sie.
Dolly hob sie auf, die beiden Cousinen lagen sich in den Armen.
Welches Leben führten die Burker’s seit zwölf Jahren? Ein elendes, sogar ein verbrecherisches, wenigstens was den Gatten der unglücklichen Jane anbelangt.
Als Len Burker sich den Nachstellungen in San-Diego entzog, flüchtete er nach Mazatlan, einem Hafen an der westlichen Küste von Mexiko. Man erinnert sich, daß er im Prospect-House die Mulattin Nô zur Bewachung Dollys, die damals noch in geistiger Umnachtung war, zurückgelassen hatte. Als aber kurze Zeit darauf die unglückliche Kranke in die Heilanstalt des Dr. Brumley übertragen wurde, reiste die Mulattin ihrem Herrn nach, dessen Zufluchtsort sie kannte.
Len Burker ließ sich unter falschem Namen in Mazatlan nieder, so daß ihn die californische Polizei nicht entdecken konnte. Uebrigens blieb er auch nur fünf bis sechs Wochen in dieser Stadt, denn mit dem wenigen Gelde – er besaß nur noch etwa dreitausend Piaster unterschlagener Beträge – konnte er in den Vereinigten Staaten nicht mehr viel anfangen, und er beschloß daher, Amerika ganz zu
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