Mit 16 tanzt man in das Leben
hatte Petra zugesagt, mit ihr bei Janos zu trainieren.
An einem strahlenden Herbsttag machten sie sich zum erstenmal auf den Weg zur Musical-Schule. Wolken jagten über einen vergißmeinnichtblauen Himmel, goldgelbe und rote Blätter wirbelten wie Schwärme exotischer Vögel durch die Luft. Ein Wetter, bei dem man gar nichts anderes tun konnte, als sich tanzend vorwärtszubewegen. Es zuckte einem richtig in den Füßen, fand Katja.
Auch Petra freute sich auf das Training bei Janos. Sie hatte sich Katjas Worte zu Herzen genommen. Allzulange hatte sie schon einen Bogen um die Waage im Badezimmer gemacht und immer neue Ausreden gebraucht, wenn es darum ging, sich beim Essen zurückzuhalten. Aber das sollte jetzt anders werden!
Die Musical-Schule war in einer stillgelegten Fabrik untergebracht. Von außen hatte man sie poppig bunt gestrichen, Schaukästen mit Fotos wiesen auf das reichhaltige Unterrichtsangebot hin und warben für abendliche Veranstaltungen. Da wurden Popkonzerte angekündigt, Kabarett-Vorstellungen, Dichterlesungen junger Autoren und Diskussionsabende.
Im Inneren des Gebäudes herrschte eine nüchterne Arbeitsatmosphäre. Hier hatte man auf bunte Bemalung verzichtet und die Räume in ihrem alten Zustand belassen. Nur Instrumente und Stereoanlagen erinnerten daran, daß hier nicht mehr täglich Hunderte von Pullovern gestrickt wurden, sondern gesteppt, getanzt, gesungen und gespielt wurde. Einzeln oder in Gruppen, von Profis und Laien, Anfängern und Meistern ihres Faches.
Petra und Katja fragten sich zu dem Saal durch, in dem Janos seinen Unterricht abhalten sollte. Ein blasser Jüngling mit einer hervorstehenden Nase wies auf eine Tür am Ende des Ganges, hinter der bereits heiße Rhythmen zu hören waren. Katja öffnete vorsichtig die Tür.
„Hier sind wir goldrichtig“, sagte sie zu Petra gewandt. „Hast du schon mal einen so phantastisch großen Trainingsraum gesehen? Da kann man sich wenigstens austoben! Wo kann man sich hier umziehen?“ fragte sie ein Mädchen mit einer Figur wie ein Bierwagenpferd und karottenroter Löckchenmähne, die sich in ein lila Trikot gezwängt hatte und gelangweilt auf den Beginn des Unterrichts wartete.
Das Bierwagenpferd wies auf eine Tür an der rechten Seite und wechselte das Standbein.
„Die bringen wir schon noch in Bewegung!“ flüsterte Katja grinsend. „Die wird sich wundern...“
Jetzt erst entdeckten sie Janos, der von einigen Schülern und Schülerinnen umringt an der Fensterseite des Saales stand und das Tonbandgerät ausprobierte. Katja und Petra winkten ihm zu und verschwanden im Umkleideraum.
Sie hatten Mühe, noch einen Platz zu finden. Dichtgedrängt standen und saßen weibliche Wesen zwischen fünfzehn und fünfunddreißig Jahren in der winzigen Kammer und beäugten argwöhnisch Aussehen und Kleidung der Konkurrentinnen. Dabei schwatzten sie durcheinander, daß keine ihr eigenes Wort verstehen konnte.
„Ich komme mir vor wie in einer Horde Papageien“, sagte Petra Katja ins Ohr. „Bloß raus hier!“
Katja streifte Jeans und Pulli ab und schlüpfte in ihr Trikot. Neben ihr bemühte sich eine schmächtige Dunkelhaarige mit lila umrandeten Augen um den Sitz ihres Stirnbands, das sie knapp über die Augenbrauen legte und am Hinterkopf mit den
Haaren zu einem kunstvollen Aufbau zusammenflocht.
„Schick!“ sagte Katja. „Du siehst aus wie die Mutter Maria bei der Verkündigung. Aber glaubst du, daß das hält?“
„Des werd scho...“ “, die Mutter Maria sprach reinsten Dialekt. „Wann i den Kopf net zu sehr umanand wirf...“ “
„Na ja...“, machte Katja zweifelnd.
Jetzt schwebte ein Wesen herein, das wirklich aus einer anderen Welt zu kommen schien. Ein schlankes Etwas mit perfektem Make-up, maßgeschneiderten Jeans aus Goldleder und einer Nerzjacke darüber. Ihren Kopf hatte sie im Stil nach Art der Bauersfrauen in ein kostbares Seidentuch gehüllt, und unter dem Arm trug sie einen Pekinesen. Katja unterdrückte nur mit Mühe ihr Verlangen, durch die Zähne zu pfeifen.
Petra, die ihr gegenüber saß, zwinkerte ihr grinsend zu. Ein tolles Parfüm hatte die Dame! Wie der arme Pekinese das nur aushielt? Vielleicht hatte er deshalb so eine flache Nase, weil er sie zum Schutz ständig nach innen stülpte! Ob sie eine berühmte Tänzerin war, ein Star, der die Gelegenheit wahrnahm, bei Janos zu trainieren?
„Komm, gehen wir.“
Petra zog Katja mit sich fort in den Saal. Sie begrüßten Janos und begutachteten die von
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