Mit 50 hat man noch Träume
fragen.
Der Duft
des Fleisches, das mit Lorbeer, Piment und etwas Thymian in Rotwein schmorte, ließ
Bea das Wasser im Mund zusammenlaufen. »Ich bin gespannt, es riecht jedenfalls fantastisch«,
gab sie zurück.
»Damit du
mir nicht verhungerst, kommt hier schon einmal ein kleiner Appetizer.« Johannes
kam mit einem Teller voller kleiner Brote zu ihr ans Sofa und stellte ihn auf einen
kleinen Tisch. »Rillette von der Entenleber auf Bauernbrot. Magst du probieren?«
Bea nickte
dankbar. Es schmeckte gut, sehr gut sogar. Der Rotwein harmonierte perfekt mit den
feinen, leicht bitteren Aromen der Leber.
Wohlig ließ
sie sich zurück in die Kissen sinken, und auf einmal konnte sie den Blick von den
Lachfältchen, die sich auf beiden Seiten seines Mundes gebildet hatten, nicht abwenden.
Als er aufstand, um mit den Worten: »Zum Wild darf er ruhig etwas schwerer sein«,
eine weitere Flasche öffnete, fiel ihr Blick auf die Muskeln an seinen Armen und
wanderte zu seiner Brust, und in diesem Moment überkam sie das unglaubliche Verlangen,
ihn herabzuziehen, ihn zu berühren und ganz mit sich fluten zu wollen.
Er sah sie
an, als könne er in ihr lesen wie in einem offenen Buch. Und als habe er nur darauf
gewartet, ihre Begierde als leises Schwingen auf seiner Haut zu spüren, setzte er
langsam die Flasche ab.
Mit einem
beinahe ausdruckslosen Blick zog er sie vom Sofa hoch, dicht zu sich heran, und
da konnte sie es wieder wahrnehmen, wie dieser Mann nach Waldboden roch.
39
Innerlich bebte er noch immer, obwohl
bereits eine halbe Stunde vergangen war und er sich längst wieder hätte beruhigen
müssen.
Ben Stur
saß zu Hause vor seinem PC und starrte auf den Monitor. Sein Hirn fühlte sich an
wie aus Watte, und ihm war, als habe sich sämtliches Blut daraus verflüchtigt und
sei woanders hingeflossen. In den Solar Plexus vielleicht, mutmaßte er, denn der
brannte wie Hölle. Er straffte sich, drückte den Rücken durch und sah auf die Uhr.
Er musste es schaffen, den Deutschaufsatz zu Ende zu schreiben, bevor er zum Fußballtraining
aufbrach. Wie zur Ablenkung strich er sich über die Wade, die Caro neulich massiert
hatte, aber sie war immer noch bretthart und schmerzte. Er versuchte erneut, die
letzten Sätze so zu formulieren, dass sie Sinn machten, doch seine Gedanken schweiften
immer wieder ab. Nach einigen Minuten klappte er Stefan Zweigs ›Schachnovelle‹ zu
und schob sie ebenso frustriert wie wütend in die äußerste Ecke seines Schreibtischs.
Er konnte sich jetzt einfach nicht konzentrieren. Ben biss sich so heftig auf die
Lippe, dass es schmerzte. Sein Vater machte ihn wahnsinnig. Was glaubte er eigentlich,
wer er war? Für ihn stand es inzwischen fest: Sein Vater war ein Idiot, nichts anderes,
und Ben fragte sich, womit er ihn verdient hatte. Die Wut über ihn pulsierte immer
noch in seinen Adern und ließ ihn innerlich zittern.
Immer wieder
gerieten sie aneinander, wegen seiner Leistung in der Schule, die nie gut genug
war, wegen der vielen Stunden, die er mit Fußballspielen verbrachte und wegen seines
Engagements im Verein Gegen Rechts. Vor allem deswegen. Der Verein half Caro
und ihren Freundinnen dabei, Unterschriften für den Erhalt des Tempels zu sammeln,
und sein Vater hatte ihn dabei erwischt. Ben lächelte bitter. Aber es war ja auch
klar, dass es seinem Erzeuger nicht in den Kram passte. Das Engagement seines Sohnes
betrachtete er als Affront gegen die eigenen Überzeugungen und damit gegen sich
als Person. Er hatte etwas gegen Ausländer, und kein Argument der Welt konnte ihn
eines Besseren belehren. Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg und belasten
unser Sozialsystem, außerdem vergiften sie die deutsche Gesellschaft mit fremdem
Kulturgut. So war es für ihn und nicht anders.
Seit der
Tempel auf dem Grundstück der Wangs stand, spuckte er jedes Mal, wenn er dort vorbeiging,
verächtlich auf die Straße, und Ben schämte sich dafür in Grund und Boden.
Er holte
tief Luft. Wenn es nur beim Spucken blieb, aber er traute seinem Vater nicht. Früher
hatte er ihn manchmal geschlagen, aber seitdem Ben über mindestens so viel Muskelmasse
verfügte wie er, und sich eines Tages erfolgreich gewehrt hatte, blieb er auf Abstand.
Ben überlegte, ob er sich auch einmal zu einem solchen Choleriker entwickeln würde,
und musste sich instinktiv schütteln. Insgeheim betete er fast täglich darum, dass
dies niemals passieren würde. Er wusste, dass auch er schnell in Rage geriet und
dieses Gen in
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