Mit 50 hat man noch Träume
dann?
Sie spürte
Johannes’ Hand auf ihrem Bein und hörte, wie er ihr leise ins Ohr flüsterte: »Sieh
mal, wie John sich freut, sie zu sehen.«
Bea nickte.
Ihre Gefühle für Ulrike waren gespalten.
»Hallo allerseits«,
grüßte Ulrike nervös in die Runde und setzte sich, John nahm direkt neben ihr Platz.
In einer zufriedenen, ausladenden Geste legte er seinen Arm hinter ihr über ihre
Stuhllehne, was den Eindruck vermittelte, als sei er stolzer Besitzer eines Schmuckstücks
mit dem Namen Ulrike.
Verlegen
schüttelte sie ihre blonden Locken, und nachdem sie vom Gewirr der vielen Stimmen
darüber aufgeklärt worden war, dass Wang Ai im Freundschaftsspiel zwei Tore geschossen
hatte, hob sie wie die anderen ihr Glas und prostete ihr mit den Worten ›Gan bei‹
zu.
Den Blicken
der Freundinnen wich sie aus, sie konzentrierte sich ganz auf John. »Seit wann bist
du hier? Wie lange willst du bleiben? Und wo wirst du schlafen?«, bestürmte sie
ihn mit Fragen.
»Angekommen
bin isch heute vormittag, und schlafen werde isch bei den Chinesen«, antwortete
er aufgeräumt. Er schien es zu genießen, mit so vielen Menschen an einem Tisch zu
sitzen, das Essen schmeckte ihm offensichtlich auch sehr gut. Geschickt hantierte
er mit den Stäbchen und angelte sich etwas Hühnerbrust vom Teller. Seine dunklen
Rastalocken, die ihm fast bis auf die Schultern fielen, hatte er mit bunten Bändern
zu vielen dünnen Zöpfen gebunden.
Bea, die
das Gespräch zwischen Ulrike und John über den Tisch hinweg aufmerksam verfolgte,
dachte daran, was Lao Wang und Zhang Liu für ein Gesicht gemacht hatten, als sie
ihnen John vorhin vorgestellt hatte. Sie waren regelrecht erschrocken gewesen, als
sie in ihrem Hotel ein Zimmer für ihn buchen wollte. Der Anblick von Schwarzen irritierte
sie, und Johns Haut war tiefschwarz. Außerdem glaubten sie, wie Bea später von Mei
Ling erfuhr, dass Schwarze faul waren und stanken. Ein schiefes Lächeln glitt über
Beas Gesicht. Die Leute in Altenahr hatten etwas gegen Chinesen, die Chinesen hatten
etwas gegen Schwarze, und die Schwarzen? Sie hatten vermutlich etwas gegen Eskimos,
wer wusste das schon. Die Welt war voller Vorurteile, es war der reinste Zirkus.
Die Wangs hatten ihm aber ein Zimmer vermietet, und inzwischen schien sich auch
ihre Befangenheit gelegt zu haben, denn sie stießen fröhlich mit ihm an, obwohl
sie nicht viel Alkohol vertrugen. Bea registrierte, dass der Rastamann Zhang Liu
mit Komplimenten über das hervorragende Essen überschüttete, was ihr ganz offensichtlich
schmeichelte, denn sie konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln.
Sie selbst
hatten keinen Platz mehr im Haus für ihn, wollten ihn vielleicht auch gar nicht
haben, dachte sie. In Ulrikes Zimmer sollte er jedenfalls ohne ihr persönliches
Einverständnis nicht übernachten. Ob sie überhaupt wusste, was die Freundinnen alles
für sie taten?
Bea beobachtete,
wie Zhang Liu Hühnerbrust auf Ulrikes Teller hievte und ihr auffordernd zunickte.
»Bitte essen Sie doch, essen Sie.«
Ulrike bedankte
sich, füllte eine Schale mit klebrigem Reis und langte nach den Stäbchen. Während
sie versuchte, sie in die richtige Position zu bringen, sagte Bruni mit einem verhaltenem,
aber für Insider deutlich hörbaren Vorwurf in der Stimme: »Ich hoffe, es war schön
in Köln.«
»Sehr schön«,
antwortete Ulrike. Über die Reisschale hinweg sah sie der Freundin zum ersten Mal
seit ihrer Rückkehr voll ins Gesicht. »Bastian, Peter und ich hatten endlich einmal
Gelegenheit, uns in aller Ruhe zu besprechen.«
Bea betrachtete
aufmerksam Ulrikes Gesichtszüge, die aber nichts von dem verrieten, was sie besprochen
haben mochten. Sie fragte sich, ob Ulrike etwas mit John gehabt hatte oder nicht.
Er behauptete nein. Aber wusste sie, ob er die Wahrheit sagte? Man sah den Menschen
immer nur vor den Kopf, ihre tatsächlichen Gedanken blieben einem verwehrt,
aber letztendlich war es auch völlig egal, ob John log oder nicht.
»Du hast
noch weiteren Besuch gehabt«, informierte Bea.
»Ja?« Ulrike
sah erstaunt zu ihr herüber.
»Claus war
da.«
Ulrike ließ
die Stäbchen sinken und starrte die Freundin an.
»Er hat
John bei uns angetroffen.«
»Nein!«
»Doch, und
er hat ihn beschimpft.«
»Oh nein!
Warum?«
»Er geht
davon aus, dass ihr etwas miteinander gehabt habt.«
»Das ist
völliger Quatsch.« Ulrike kniff die Augen zusammen.
»Habe isch
auch gesagt«, meldete John sich zu Wort. Dann erhob er sich und sagte:
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