Mit 50 hat man noch Träume
Ling
erhob sich, riss die Arme hoch und hüpfte auf und ab. »Ich habe gewusst, dass sie
uns nicht enttäuscht!«, schrie sie strahlend.
»Tor!, Tor!,
Tor!«, riefen die ›Eintracht‹-Anhänger rhythmisch im Chor.
15 Minuten
später landete Wang Ai einen weiteren Treffer. Aus spitzem Winkel entschied sie
das Freundschaftsspiel mit einem 2:1 für den Verein ›Eintracht Neuenahr‹.
48
Lao Wang und seine Frau hatten zu
Hause alles vorbereitet und die Gerichte in Töpfen und Schüsseln ins ›Ahrstübchen‹
getragen. Zur Feier des Tages und Wang Ais erwartetem Siegesfeldzug hatten sie ›Rippchen
1, 2, 3, 4, 5‹ gekocht, ein altes Familienrezept. Das Gericht hieß deswegen so,
weil man für vier Personen 1 Pfund Fleisch benötigte, 2 Esslöffel Zucker, 3 Esslöffel
Reisessig, 4 Esslöffel Sojasoße und 5 Esslöffel Wasser, gewürzt mit etwas Reiswein.
Das alles wurde zusammen eine gute Stunde in einem Bratentopf geschmort, und in
den restlichen zehn Minuten köchelten noch zarte Karottenscheiben mit.
Als Vorspeise
gab es gekochte Hühnerbrüstchen, die 24 Stunden lang in einem Sud aus Sojasoße,
Sternanis, Orangensaft und Wasser mariniert worden waren und nun dunkel marmoriert,
mit Orangenfilets dekoriert, auf einer großen Platte angerichtet darauf warteten,
verzehrt zu werden.
Seit dem
Brand war es das erste Mal, dass Lao Wang und Zhang Liu ihr Haus wieder verlassen
hatten.
Es duftete
köstlich, und Ulrike kräuselte die Nase, als sie überrascht das ›Ahrstübchen‹ betrat.
Die komplette chinesische Familie einschließlich der Kinder, Johannes Frier, Bea
und Bruni sowie die Schäfers und auch John saßen an einem langen Tisch, lachten
und ließen es sich schmecken.
Caro aß
nicht mit. Sie bediente die Freunde und kümmerte sich auch um die zwei Tische, an
denen Touristen saßen. »Es macht mir nichts aus, ich komme später zu euch«, hatte
sie lächelnd versichert. »Wir können uns ja abwechseln. Jetzt esst erst einmal ihr.«
Das ist
typisch Caro, dachte Bea, und ihr wurde dabei ganz warm ums Herz. Sie ist ein echter
Kumpel, und sie hat Mannschaftsgeist, und das ist ziemlich selten. Bea war sich
sicher, dass sie nichts mit Wang San hatte, wenn sie es sagte, dann stimmte es.
Als sie die große, fröhliche Gesellschaft
sah, wollte Ulrike in einer ersten Regung direkt umkehren, doch John hatte sie bereits
bemerkt. »Ulrike!« Freudestrahlend sprang er auf und lief ihr entgegen. »Endlisch
bist du da! Wir haben schon auf disch gewartet!«
Ihre Augen
wurden kreisrund, als sie begriff, wer vor ihr stand. »Du hier?« Verblüfft stellte
sie ihre kleine Reisetasche ab und umarmte ihn unsicher. »Was machst du denn
hier?« Zur Begrüßung der anderen nickte sie kurz in die Runde.
»Isch besuche
disch!« John lachte, und seine weißen Zähne blitzten. »Du siehst super aus, rischtisch
super!«, rief er, hielt sie auf Armlänge von sich entfernt und betrachtete sie wohlwollend.
»Und nette Freundinnen hast du, und so nette Freunde! Komm, setz disch zu uns.«
John war
regelrecht euphorisch. Der chinesische Reiswein hatte seine Zunge gelockert, und
er benahm sich so, als gehöre er schon seit Ewigkeiten zum Haus wie altes Inventar,
das seinen angestammten Platz hier einnahm.
Irgendwie
führt er sich so auf, als sei er hier der Hausherr, dachte Bea. Halb amüsiert
beobachtete sie die Szene, dabei registrierte sie, wie Ulrike ihrem Blick auswich,
aber sie machte sich nicht allzu viel daraus, denn der Ausgang des Fußballspiels
hatte sie positiv gestimmt. Vielleicht stand ihre gute Laune aber auch damit in
Zusammenhang, dass Johannes über Nacht bei ihr bleiben würde. Unwillkürlich lächelte
sie ihn an, und die Art, wie er zurücklächelte, führte dazu, dass eine Welle tiefer
Sehnsucht sie erfasste. Sie griff nach ihrem Glas, und während sie sich in ihrem
Stuhl zurücklehnte und einen Schluck Wein trank, wartete sie darauf, dass die Hitze,
die sich explosionsartig in ihrem Körper ausbreitete, sich wieder verflüchtigte.
Glücklicherweise hatte sie in der vergangenen Nacht fünf Stunden geschlafen, was
für ihre Verhältnisse viel war. Obwohl es mit dem ›Ahrstübchen‹ finanziell langsam
bergauf ging, machte sie sich nach wie vor Gedanken über die Zukunft, und vor allem
in den Stunden, wenn sie allein in der Dunkelheit lag, fragte sie sich, wie lange
sie das Projekt noch zu viert betreiben würden. Insgeheim fürchtete sie manchmal,
dass sie bald ganz allein da stehen könnte. Doch was
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