Mit 50 hat man noch Träume
»Entschuldigt
misch bitte, aber isch glaube, isch störe jetzt nur.«
»Ich komme
gleich mit«, meinte Johannes.
Zusammen
schlenderten sie hinüber zur Theke, wo Caro gerade Softdrinks in Gläser goss. Bea
sah, wie John irgendetwas zu ihr sagte, woraufhin alle drei lachten.
»Du hättest
uns besser darüber aufgeklärt, dass er kommt«, versetzte Bruni mit müder Stimme.
»Du wusstest es doch, oder nicht?«
Ulrike biss
sich auf die Unterlippe. »Ja und nein«, antwortete sie. »Wir hatten darüber gesprochen,
dass wir uns sehen und reden müssen, und auch ein Treffen ins Auge gefasst, aber
fest vereinbart war nichts. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass er einfach
so hier auftaucht.«
»Wir waren
jedenfalls ganz schön perplex, als er plötzlich an der Theke saß«, tadelte Bea.
»Wir dachten, er sei noch auf Barbados.«
»War er
ja auch, aber seit einigen Tagen ist er wieder zurück. Deswegen wollte er mich ja
treffen. Tut mir wirklich leid.«
Bruni senkte
ihre Stimme, sodass die Chinesen, die sich angeregt unterhielten, nicht hören konnten,
was sie sagte. »Vielleicht solltest du eine Therapie ins Auge fassen, damit du die
Sache endlich einmal klärst. So geht es doch nicht weiter. Höre auf, immer nur wegzurennen.«
Ulrike blickte
sie entgeistert an, aber nach einer Weile gab sie zu: »Vielleicht hast recht, die
Situation ist völlig verfahren.« Sie blinzelte, und murmelte leise: »Wisst ihr,
ich habe Angst, dass ich wieder schwach werden könnte, wenn ich ihm begegne.«
»Und deswegen
meidest du ein Wiedersehen?«, fragte Bruni.
Ulrike senkte
den Kopf.
»Davon wird
es aber auch nicht besser«, sagte Bea.
»Ich weiß.«
»Und er?«
Bea wies mit dem Kopf Richtung Theke und fragte: »Ist er wirklich nur ein Freund?«
»Mein Lover
auf Barbados hieß Ismael«, erklärte Ulrike und strich sich eine blonde Locke aus
dem Gesicht. In ihren haselnussbraunen Augen blitzten kleine Lichter.
Nach einer
Weile fragte Bea: »Hast du John einen Job versprochen?«
»Nein, wo
denkt ihr hin.« Ulrike schüttelte energisch den Kopf.
»Zumindest
geht er davon aus, dass du ihm eine Arbeit besorgen kannst«, warf Bruni ein.
»Dann täuscht
er sich eben.«
»Nett ist
er ja«, lobte Bruni.
Ulrike sah
auf.
»Und er
kennt keinen Menschen hier außer uns«, fügte Bea hinzu.
Ulrike nickte
langsam.
»Er scheint
sich auch ganz wohl bei uns wohl zu fühlen«, gab Bruni zu bedenken.
»Habt ihr
irgendetwas im Sinn?«
Bea sah
die Freundinnen an, dann holte sie tief Luft und stellte eine Gegenfrage: »Kann
er gut Kartoffeln schälen?«
49
»Der Frauenfußballverein aus Neuenahr
will sie haben«, freute sich Wang San, während er neben Bruni am Ahrufer entlang
ging. Sie waren auf dem Weg zurück zu ihren Restaurants. Nach langer Pause hatten
sie heute zum ersten Mal wieder zusammen auf das Jadekissen geklopft .
Wang San
brauchte die Qi-Gong-Übungen zurzeit mehr denn je, denn auch er konnte, wie alle
anderen Familienmitglieder, den Schock des Anschlags noch nicht ganz überwinden.
Qi Gong half ihm dabei, seine Nervosität im Griff zu behalten und seine Lebensenergie,
die enorm ins Stocken geraten war, wieder in Fluss zu bringen.
Außerdem
rückte der Termin, an dem die Kreisverwaltung über die Baugenehmigung für den Tempel
entscheiden sollte, näher, was seine innere Unruhe verstärkte. Das Restaurant war
immer noch geschlossen, und Wang San vertrieb sich die Zeit ausschließlich mit Müßiggang,
wie er fand. Er las viel, ging spazieren, praktizierte Qi Gong, und zweimal am Tag
meditierte er. Im Grunde erkannte er sich selbst nicht wieder. Manchmal betrachtete
er sein Gesicht aufmerksam auf der Suche nach sich selbst im Spiegel, und er entdeckte
Spuren innerer und äußerer Veränderung an sich. Seine Augen blickten nicht mehr
so offen wie früher in die Welt, und um seinen Mund herum hatte sich ein bitterer
Zug eingeschlichen. Auch fiel ihm auf, dass er blasser geworden war und schmaler.
Wang San fand, er sah irgendwie verhärmt aus.
»Das freut
mich«, erwiderte Bruni und fügte hinzu: »Wang Ai ist sicher sehr stolz auf sich.«
»Vor allem
sind wir sehr stolz auf sie«, erwiderte Wang San.
»Und? Hat
sie sich schon entschieden?«, fragte Bruni. »Bleibt sie hier?«
»Das Visum
ist schon beantragt.«
Unwillkürlich
blieb sie stehen. »Das ging aber schnell.«
Wang San
nickte. »Zumindest hat sie vor, zu bleiben, aber noch ist unklar, wie ihr Aufenthalt
finanziert werden kann.«
»Ist immer
noch kein
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