Mit 50 hat man noch Träume
investieren.
Sie fragte
sich, ob und wie sie sich finanziell mit Claus einigen würde, falls sie nicht zu
ihm zurückkehrte.
»Was hast
du eigentlich für Träume?«, fragte sie aus einer spontanen Eingebung heraus John,
der inzwischen mit einem frisch gewetzten Messer hantierte und schon einen Berg
klein gewürfelter Zwiebeln vor sich auf dem Holzbrett aufgetürmt hatte.
»Isch? Isch
habe keine Träume«, antwortete er und zog nachdenklich die Stirn in Falten. Er überlegte
einen Moment, dann sagte er: »Weißt du, isch bin schon froh, wenn isch keinen Hunger
haben und wenig arbeiten muss, gute Musik hören kann, jede Woche einen interessanten
Menschen kennenlerne und mindestens sieben Mal die Woche Sex habe.«
»Ach, mehr
nicht?« Ulrike lachte. In ihren Ohren klang, was er gesagt hatte, wie ein Sechser
im Lotto. Aber ohne Träume wären die Psychiatrien vermutlich restlos überfüllt,
überlegte sie und dachte, dass sie so lebensnotwendig waren wie das Blut, das durch
unsere Adern fließt. Wenn wir keine Träume mehr haben, sind wir tot, dachte sie.
54
Bea trug einen dunkelblauen Hosenanzug
aus sommerlich dünnem Stoff, darunter ein weißes T-Shirt und flache, ebenfalls weiße
Mokassins. So viel Eleganz war sie schon lange nicht mehr gewohnt, und ihr Outfit
fühlte sich irgendwie fremd an. Seitdem sie im ›Ahrstübchen‹ arbeitete, trug sie
nahezu ausschließlich Jeans, manchmal auch ein leichtes Sommerkleid, dazu aber fast
immer bequeme Sneakers. Sie warf einen raschen Blick in den Rückspiegel und stellte
fest, dass sie vergessen hatte, Lippenstift aufzutragen, und im selben Moment erinnerte
sie sich, dass sie ihn in ihr Kosmetiktäschchen gesteckt hatte. Frank mochte rote
Lippen, und am liebsten mochte er korallenrote.
Auf ihren
Anruf hatte er überrascht, aber positiv reagiert.
»Endlich!«,
hatte er ausgerufen und mit leichtem Vorwurf hinzugefügt: »Ich dachte schon, ich
würde dich nie mehr wiedersehen.«
»Es wird
Zeit, dass wir die Friedenspfeife rauchen«, hatte sie erklärt und zu ihrer eigenen
Überraschung gesagt: »Weißt du was? Manchmal vermisse ich dich.«
»Dann komm«,
hatte die schlichte Antwort gelautet, und mit einem gespielt drohenden Unterton
hatte er gesagt: »Aber warte nicht zu lange.«
Und nun
war sie unterwegs zu ihm nach Köln. Ihre Gefühle waren gemischt. Einerseits freute
sie sich darauf, ihn wiederzusehen, andererseits hatte sie ihm immer noch nicht
ganz verziehen, dass er die Firmenanteile seinem Freund und nicht ihr verkauft hatte.
Immerhin, inzwischen hatte er ihr ja ein Angebot gemacht und das hatte sie ein wenig
besänftigt.
Sie wusste,
dass er Bratwürstchen liebte, und da aus dem verregneten Frühling ein heißer Grillsommer
geworden war, war sie noch schnell nach Ahrbrück gefahren, wo es die besten Bratwürstchen
nördlich des Mains gab. Die ›Nürnberger‹ lagen jetzt sicher in einer Kühlbox auf
dem Rücksitz, und je weiter sie sich vom ›Ahrstübchen‹ entfernte, desto mehr begann
sie sich darauf zu freuen, gleich etliche davon auf Franks Dachterrasse zu verspeisen.
Vorsichtshalber hatte sie auch noch körnigen Senf besorgt.
Während
ihr Haar im Fahrtwind flatterte, summte sie den Amy-Winehouse-Song ›Back to Black‹
vor sich hin.
In der lang
gezogenen Kurve hinterm Campingplatz am Ahrbogen sah sie den Mann am Stand sitzen,
der um diese Zeit an immer derselben Stelle Obst verkaufte. Sie winkte und grüßte
ihn wie einen alten Bekannten, denn fast immer, wenn sie hier vorbeifuhr, nahm sie
etwas mit. Heute hielt sie nicht an, aber sie freute sich jetzt schon auf den Herbst,
wenn er Pflaumen und Federweißer anbot, den leckersten der ganzen Gegend, wie sie
fand.
Nach 50
Minuten Fahrtzeit hatte sie Köln erreicht. Sie fuhr über das Kreuz Köln Süd die
Rheinuferstraße entlang bis zum Chlodwigplatz und von dort über den Ring Richtung
Eifelplatz, wo nicht nur Best Promotion seinen Firmensitz hatte, sondern
wo auch Frank wohnte.
Als er ihr
die Tür öffnete, waren ihre Lippen korallenrot, und sie verströmte den leichten
Hauch ihres Sommerparfums, das dezent nach grünem Tee und Hölzern duftete.
Sein Anblick
überraschte sie, offenbar hatte sie vergessen, wie gut er aussah. Mit der weit ausholenden,
selbstsicheren Geste eines Mannes, der sich seiner gesellschaftlichen Stellung voll
und ganz bewusst ist, bat er sie hinein. Sein kurzes, dunkles, an den Schläfen grau
meliertes Haar lag glatt an, die Gesichtshaut war gebräunt, und Bea fragte
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