Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit 50 hat man noch Träume

Mit 50 hat man noch Träume

Titel: Mit 50 hat man noch Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
Vom Netzwerk:
sich als Zeichen der Ehrerbietung tief vor
ihm verbeugte. Schnell sah er auf die Zahlen. Der Scheck war auf eine Summe von
1.000 Euro ausgestellt. Lao Wang lächelte zufrieden und begann zu rechnen. In normalen
Zeiten war das zwar nicht einmal eine Tageseinnahme, aber immerhin. »Das ist wirklich
nicht nötig«, versicherte er und wollte dem Bürgermeister den Scheck zurückreichen.
»Wir können ihn leider nicht annehmen.«
    Hubertus
Hohenstein aber wies sein Ansinnen entrüstet von sich.
    Wenn er
ein Chinese gewesen wäre, hätten sie jetzt eine ganze Reihe von Höflichkeitsfloskeln
ausgetauscht. Lao Wang hätte darauf bestanden, dass er den Scheck unter keinen Umständen
annehmen könne, und Hubertus Hohenstein hätte immer wieder insistiert, dass er als
Geschenk einfach angenommen werden müsse , und schließlich wäre der Scheck
ohne Gesichtsverlust irgendwann in Lao Wangs Kitteltasche verschwunden.
    Aber der
Bürgermeister war ein Deutscher, und so reduzierten sich die Höflichkeitsfloskeln
auf ein Minimum.
    »Doch, natürlich«,
sagte Hubertus Hohenstein nur und fügte rigoros hinzu: »Keine Widerrede!« Er merkte,
dass er sich darin gefiel, Gutes zu tun. Und die Wangs waren wirklich ganz nett.
Außerdem roch es gut aus der Küche. Der Duft von gebratenem Ingwer kitzelte seine
Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
    Lao Wang
beobachtete ihn und lächelte weise. Die Deutschen waren und blieben Barbaren. Aber
der Scheck fühlte sich gut an in seiner Hand.

53
     
    Wenn ich alles, was einmal wichtig
war in meinem Leben, hinter mir lassen möchte und Dinge wagen will, die ich schon
vor 20 Jahren wagen wollte, dann müsste ich sie jetzt endlich wagen dürfen, überlegte
Ulrike. Das Dumme war nur, die Zeit war viel schneller als sie.
    Unwillkürlich
verlagerte sie ihr Gewicht gleichmäßig auf beide Beine und schürzte die Lippen,
während sie den Fisch filettierte.
    Claus hatte
sie seit seinem Auftauchen in Altenahr mit Anrufen bombardiert, aber ganz offensichtlich
begriff er nichts von dem, was sie ihm zu erklären versuchte.
    Lange genug
hatte sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückgestellt. Sie hatte sich um Haus, Mann
und Kinder gekümmert, war zweimal täglich mit Mr. Fred spazieren gegangen, hatte
die Urlaubsreisen gebucht und auch sonst alle organisatorischen Belange einer kleinen
Familie in die Hand genommen. Nach außen war es ein Bilderbuchleben gewesen. Sie
hatte eingekauft, gekocht, gewaschen und gebügelt, war einmal im Monat ins Theater
und einmal im Monat ins Konzert gegangen, und hin und wieder hatte sie auch das
Museum Ludwig besucht. In gewisser Weise hatte sie den Traum von der perfekten Familie
gelebt, so wie er in den Jungmädchenbüchern, die sie gelesen hatte, geschildert
wurde. In ihrer großen Altbauwohnung in Sülz hingen Originalbilder an der Wand,
und gelegentlich kamen Freunde zum Essen. Die ersten Anzeichen von Wechseljahresbeschwerden,
die dazu führten, dass sie wegen starker Blutungen und wiederkehrenden Kopfschmerzen,
die migräneartigen Charakter aufwiesen, nicht mehr so hundertprozentig wie üblich
funktionierte, hatte sie sofort mit Hormonen bekämpft. Seit ein paar Monaten schluckte
sie Gestagene, und sie war zufrieden damit. Immerhin ermöglichten sie ihr ein Leben,
wie sie es jahrzehntelang gewohnt war.
    Ulrike zog
die Stirn kraus und fragte sich zum ersten Mal, ob sie mit dem hehren Ziel allzeitiger
Funktionstüchtigkeit und ihrem Traum von der perfekten Familie letztendlich nicht
nur sich selbst, sondern auch Claus und die Kinder betrogen hatte, betrogen um das
wahre Leben, das sich hinter jedem Traum verbarg.
    Aber mussten
Träume immer Illusionen bleiben?
    »Gibst du
mir mal ein scharfes Messer?«, hörte sie John fragen.
    »Die meisten
sind stumpf, du musst sie erst schleifen«, antwortete sie und schob ihm den Schleifstein
hinüber. John hatte gerade damit begonnen, Zwiebeln zu schälen, und der beißende
Geruch trieb ihr die Tränen in die Augen, obwohl sie mindestens zwei Meter von ihm
entfernt am Arbeitstisch stand.
    Vor 20 Jahren
schon hatte sie davon geträumt, ein eigenes Restaurant zu besitzen, vielleicht auch
eine Pension oder ein kleines Hotel, aber finanziell war es einfach nicht machbar
gewesen. Und heute? Ulrike kniff die Augen zusammen. Ohne Geld ging nichts. Bea
und Caro trugen die finanzielle Hauptlast für das ›Ahrstübchen‹, und wenn sie von
beiden als Geschäftspartnerin ernst genommen werden wollte, musste sie in jedem
Fall mehr Geld

Weitere Kostenlose Bücher