Mit 50 hat man noch Träume
der Tischdecke spielte.
Auch Lilly saß mit am Tisch. Sie war überraschend zu Besuch gekommen, und nachdem
sie von ihrer Mutter umarmt worden war, hatte sie sich kurzerhand zu Ben hinter
die Theke gesellt und ihm geholfen, sodass auch die Getränkeversorgung der Gäste
einwandfrei funktionierte.
»Eure Unterstützung
war großartig«, lobte Bea und tauschte einen müden, aber sehr zufriedenen Blick
mit Caro. »Vielen, vielen Dank. Selbstverständlich bezahlen wir euch das.«
Christine
Schäfer und Marianne Hohenstein blickten von ihren Tellern auf und starrten sie
an, und nachdem Christine Schäfer sich eine weitere Gabel voll Bratkartoffeln in
den Mund geschoben und lange darauf herumgekaut hatte, sagte sie: »Willst du uns
beleidigen? Das läuft unter Nachbarschaftshilfe. Oder, Marianne?«
Die Frau
des Bürgermeisters nickte und spießte bedächtig ein Salatblatt auf. Nach einem Moment
sagte sie: »Das haben wir gern gemacht. Irgendwann bekommen Sie sicher die Gelegenheit,
sich zu revanchieren.«
Wang San
und Mei Ling tauschten einen Blick. »Wir wollen ebenfalls kein Geld dafür haben«,
erklärte Wang San.
»Dann teilen
sich John und Ben euer Honorar, wenn ihr einverstanden seid. Was haltet ihr davon?«,
schlug Bea vor.
»Klar«,
und »gute Idee«, tönte es von allen Seiten. Lilly, die neben Ben saß, betrachtete
ihn interessiert. Er war rot geworden und sah verlegen auf seinen Teller. Er hatte
etwas an sich, das ihr gefiel, auch wenn sie nicht genau wusste, was es war. Sein
spitzbübisches Lächeln oder die Verlegenheit, die sich in seine Augen schlich, wenn
er merkte, dass er beobachtet wurde. Einerseits benahm er sich wie ein schüchterner
Junge, andererseits wirkte er schon sehr erwachsen auf sie. Zumindest sein Körper
schien es bereits zu sein.
»Ich schlage
vor, dass wir uns duzen«, sagte Marianne Hohenstein plötzlich und sah in die Runde.
»Was halten Sie davon? Jetzt, wo wir quasi als Team funktionieren …«
Alle am
Tisch waren überrascht, und es breitete sich eine kleine verlegene Pause aus. Die
Frau des Bürgermeisters fügte hinzu: »Mit meinem Vorschlag meine ich ausnahmslos
alle hier am Tisch.« Sie hob ihr Glas und richtete ihren Blick auf jeden Einzelnen,
auf Johns Gesicht verweilte er eine Spur länger als auf den anderen.
»Ich schließe
mich Mariannes Vorschlag an«, meinte Christine Schäfer, die auf einmal sehr stolz
auf die 1. Vorsitzende des Landfrauenvereins war, und ehe sie es noch recht begriff,
tönte es schon laut durcheinander: »Gan bei! Cheers!«
»Und nicht
zu vergessen: Auf Deutsch heißt es Prost!«, ergänzte Marianne Hohenstein fröhlich.
59
Am späten Nachmittag des nächsten
Tages saß Lao Wang still in seinem Arbeitszimmer. Nachdem er einen Stein, den er
kürzlich erst an der Ahrschleife gefunden hatte, mit kalligrafischen Schriftzeichen
verziert hatte, fühlte er sich gelassen genug, um nach dem zierlichen Brieföffner
aus hellgrüner Jade zu greifen, den seine Frau ihm vor etlichen Jahren geschenkt
hatte. Er hatte den Umschlag, der vor zwei Tagen mit der Post gekommen war, ungeöffnet
in einer Porzellanschale auf seinem Schreibtisch liegen lassen, denn er traute dem
Inhalt des Schreibens nicht. Warum, konnte er nicht genau sagen, aber wie bislang
alle Briefe von der Verbandsgemeinde Altenahr war auch dieser hier von einer unheilvollen
Aura umgeben, die sich mit nichts messen, sondern nur erahnen ließ. Der blaue Drachen,
der die Schale verzierte, hatte nichts an der düsteren Ausstrahlung des Umschlags
zu ändern vermocht, obwohl er inzwischen mehr als 40 Stunden direkt auf ihm gelegen
hatte.
Der alte
Chinese nahm den Brief vorsichtig in die Hand. Er kam aus China, war relativ dick
und den Absender kannte er gut. Wieso hatte die Reisegesellschaft aus Shanghai keine
E-Mail geschickt? Was war so wichtig, dass es als ordentliches Briefdokument versandt
werden musste? Normalerweise korrespondierten sie per Mail. Auf einmal kam Lao Wang
sich vor wie ein kleiner Junge, der schon vieles spürte, aber noch nichts begriff.
Bedächtig neigte er den Kopf und lauschte den Stimmen seiner Singvögel, die um diese
Zeit wieder munter vor sich hinzwitscherten, nachdem sie ausgiebig Mittagsruhe gehalten
hatten.
Seit ihr
Restaurant wieder geöffnet war, hatten sie kaum Umsatz gemacht. Es war still geworden
im Gastraum, trotz der Presseberichte und obwohl sie ihrem chinesischen Vertragspartner
längst mitgeteilt hatten, dass sie wieder betriebsbereit waren. Die wenigen
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