Mit 50 hat man noch Träume
Finger in das von Marianne Hohenstein angerichtete Dressing,
leckte ihn ab, schüttelte sich, und sagte mit fachkundiger Miene: » Zu viel Essisch.
Nimm noch ein bisschen mehr Zucker, all right?« Dann hievte er sich mehrere Teller
auf seine muskulösen Oberarme und balancierte sie hinaus Richtung Gastraum.
Marianne
Hohenstein stand wie erstarrt. Als sie wieder zu sich kam, schüttelte sie den Kopf
und murmelte vor sich hin: »Chinesen sind eins, da gewöhne ich mich schon noch dran,
aber jetzt auch noch an Schwarze?«
57
»Ich habe es geschafft«, erklärte
sie und holte tief Luft. Sie wiederholte ihre Worte, als könne sie es selbst nicht
glauben, als müsse sie sich noch davon überzeugen, dass es wahr war. »Ich habe es
tatsächlich geschafft.«
»Hast du«,
stimmte Bruni zu und versuchte, der Freundin über den Arm zu streichen. »Au.« Sofort
zog sie ihre Hand wieder zurück. »Die Nadeln pieksen aber ziemlich!«
»Du solltest
dich besser nicht bewegen«, erwiderte Ulrike und blickte stoisch an die Decke.
Sie und
Bruni lagen nebeneinander auf zwei Liegen, und jede von ihnen hatte mindestens zwölf
Akupunkturnadeln im Körper stecken, verteilt auf Hände, Arme, Brust, Kopf, Rücken,
Beine und Füße. Bruni hatte in der Praxis angerufen, die sich in Köln in der Trierer
Straße nahe dem Barbarossaplatz befand, da Mei Ling schon jahrelang zu dieser Ärztin
ging und regelrecht von ihr schwärmte. Sie war eine Deutsche, die nicht nur in chinesischer
Medizin, schwerpunktmäßig Kräutermedizin und Akupunktur versiert war, sondern auch
über eine westliche, schulmedizinische Ausbildung verfügte. Eine gute Kombination,
wie Bruni fand, und so hatte sie sich kurzerhand einen Termin geben lassen, weil
ihre Hitzewallungen zunehmend lästig wurden und Silberkerze allein keine Abhilfe
schaffte. Sie hatte davon gelesen, dass sich Wechseljahresbeschwerden mit Akupunktur
und chinesischen Kräutern gut behandeln ließen, und Zhang Liu, die das alles seit
Jahrzehnten bereits hinter sich hatte, hatte sie darin bestärkt. Nach Auffassung
der chinesischen Medizin schwinden unsere vitalen Körperflüssigkeiten, wenn wir
älter werden, was zu einem Überschuss von Yang, gleichzusetzen mit Vitalenergie
und Hitze, führt. Bruni hatte nicht nur für sich, sondern auch gleich für Ulrike
einen Termin vereinbart, denn sie hatte sie davon überzeugen können, ihren Ängsten
nicht nur im Rahmen einer Psychotherapie zu Leibe zu rücken. Chinesische Medizin
war für vieles gut, und da Bruni auch jeder Hormonersatztherapie gegenüber skeptisch
eingestellt war, hoffte sie, dass Ulrike sich dank diverser Kräuter und Nadeln demnächst
vielleicht sogar von den Gestagenen verabschieden würde, die sie gegen erste Wechseljahresbeschwerden
schluckte. Sie nahm sich vor, Bea beim nächsten Mal auch mit hierher zu nehmen.
Im Hintergrund
dudelte leise Panflötenmusik, die ungeheuer entspannend wirkte, und Ulrike fühlte,
wie sie von Minute zu Minute schläfriger wurde. »Danke, dass du mich begleitet hast«,
sagte sie. »Mir wären bestimmt all die Fragen nicht eingefallen, wenn ich allein
zu dem Anwalt gegangen wäre.«
»Vier Augen
sehen mehr als zwei, und zwei Hirne denken besser als eines«, erwiderte Bruni sanft.
Unter der Wolldecke war es wohlig warm, aber inzwischen achtete sie darauf, stillzuliegen.
»Die wichtigste
Information war, dass ich ein Anrecht auf die Hälfte unseres Vermögens habe«, gähnte
Ulrike und fügte hinzu: »Ich hatte schon befürchtet, dass ich mittellos werden könnte.«
»Nicht in
diesem Land, und eine Gütertrennung habt ihr ja nicht vereinbart. Weißt du überhaupt,
von wie viel Geld du redest?«
»Nein, ich
muss das mit Claus klären, selbst habe ich nicht den Überblick.«
»Dachte
ich mir schon«, seufzte Bruni und fragte nach: »Traust du ihm?« Eine unbedachte
Bewegung führte dazu, dass ihr wieder ein »Au!« herausrutschte.
Ulrike schwieg
einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Ja, ich denke, er wird sich fair verhalten.«
»Wann willst
du es ihm sagen?«
»Sehr bald.«
»Wann?«
»Dränge
mich nicht. Du wirst schon sehen.«
58
Der Kegelverein aus Köln hatte das
›Ahrstübchen‹ mittlerweile verlassen, und nachdem die Ordnung einigermaßen wiederhergestellt
war, hatte Bea die letzten Bratkartoffeln gebraten, die sie jetzt zusammen mit Salat
und Sülze auf der Terrasse genossen. Es war angenehm draußen, nicht zu heiß, und
es wehte ein laues Nachmittagslüftchen, das mit den Enden
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