Mit 50 hat man noch Träume
Einheimischen
wie Christine Schäfer mit Familie oder Dorothée Maar vom Supermarkt, die bei ihnen
hereinschauten, kamen aus Solidarität. Sie aßen eine Frühlingsrolle oder bestellten
Schweinefleisch süß-sauer, aber das war es auch schon. Jeden Abend, wenn sie schlossen
und Zhang Liu die Einnahmen zählte, schüttelte sie sorgenvoll den Kopf, denn das
Klappern der Kasse klang nicht mehr so süß in ihren Ohren wie vor wenigen Wochen
noch. Deutsche Touristen zogen die einheimische Küche vor. Der Kegelverein hatte
zwar neugierig ihren Hof inspiziert und den goldenen Buddha fotografiert, aber anschließend
waren sie nicht bei ihnen, sondern im ›Ahrstübchen‹ eingekehrt. Lao Wang strich
sich über sein Kinn und beobachtete versonnen den Singvogel, der in der Voliere
akrobatische Übungen vollführte und in halsbrecherischem Tempo von Stange zu Stange
hüpfte. Dann gab er sich einen Ruck und schlitzte den Umschlag auf. Das reißende
Geräusch fuhr ihm in die Glieder. Es verstärkte seinen Eindruck, dass die Kette
unglücklicher Wendungen noch nicht abgerissen war. Langsam entfaltete er das Schreiben,
dann beugte er sich darüber und las.
Die ganze Familie war in ihrem Wohnzimmer
versammelt, und lange Zeit sagte niemand ein Wort. Selbst die Kinder saßen still.
Erst vor wenigen Minuten hatte Lao Wang ihnen mitgeteilt, dass das chinesische Reiseunternehmen
den Vertrag gekündigt hatte.
Begründung:
1. Vertragsverletzung
durch vorübergehende Schließung des Restaurants.
2. Die der
Schließung zugrunde liegende Fremdenfeindlichkeit in Altenahr sei unzumutbar für
ihre Kunden.
Genausogut
hätte Lao Wang seiner Familie auch sagen können, dass er Insolvenz beantragt habe.
»Vertragsverletzung,
dass ich nicht lache. Die paar Tage, die wir geschlossen hatten!«, empörte sich
Wang San, in dessen Gesicht langsam die Farbe zurückkehrte. »Als sei es ein Problem
gewesen, in Dernau einzukehren. Wir hatten doch alles geregelt. Der Schmidt-Räkel
hat ein unerwartetes Geschäft gemacht, unsere Landsleute waren zufrieden, und alles
lief völlig unproblematisch.«
»Es war
doch mit der Reisegesellschaft abgesprochen?« Fragend sah Mei Ling ihren Vater und
ihre Brüder an. Neben Wang San saßen Wang Yi und seine Frau, und alle nickten.
»Natürlich«,
erklärte Wang Yi. Er hob seine Jüngste auf den Schoß und fügte hinzu: »Wo denkst
du hin. Wir hätten sie niemals sich selbst überlassen.«
»Dann verstehe
ich die Reaktion nicht«, seufzte Mei Ling.
»Wisst ihr
was?«, fragte Wang Ai. »Ich vermute, dass sie sauer darüber sind, dass ich bei einem
deutschen Frauenfußballverein spielen werde, da sie ja die chinesische Frauenfußball-Nationalmannschaft
sponsern. Demnächst ist Frauen-Fußball-WM!«
»Aber du
hast das offizielle O.k.!«, wandte Wang Yi ein.
»Na und?
Dem Reiseunternehmen ist es egal, was die Vereine untereinander ausklüngeln und
ob die chinesischen Behörden den Weg ebnen. Die wollen einfach nur, dass die Chinesinnen
Weltmeister werden, schließlich haben sie einiges dafür investiert.«
»Gut möglich«,
überlegte Wang San und sagte: »Fakt ist, dass sie uns ausbooten. Du meinst, die
wollen, dass du das Angebot von der ›Eintracht Neuenahr‹ ausschlägst?«
Wang Ai
nickte.
Lao Wang
hielt Zhang Liu seine Teetasse hin, und sie schenkte noch einmal nach. Das halblange,
weit geschnittene Hemd, das sie über ihrer Hose trug, war an den Ärmeln dezent mit
bunten Stickereien verziert, die den Blick des Betrachters auf die Anmut ihrer Bewegungen
lenkten. Trotz ihres hohen Alters konnte man erkennen, dass sie einmal eine sehr
schöne Frau gewesen war.
»Wir hätten
das Restaurant nicht schließen dürfen«, stöhnte Wang Yi mit sorgenvoller Miene.
»Haben wir
aber«, erwiderte Mei Ling. In ihrer Stimme lag eine Heftigkeit, die man kaum von
ihr kannte. Am liebsten wäre sie weggerannt, hätte sich auf ihre Kawa geschwungen
und wäre all dem mit Vollgas entflohen.
»Und nun?«,
fragte ihre Cousine. »Was machen wir nun? Das Beste ist, ich gehe zurück nach China.«
»Jetzt dreh
mal nicht durch. Keiner weiß, ob du mit deiner Vermutung überhaupt richtig liegst«,
erwiderte Mei Ling.
»Solange
die ›Eintracht‹ noch keinen Sponsor hat, ist meine Zukunft hier sowieso nicht gesichert.
Und wenn ich weiter in China spiele, wäre ich mit Sicherheit auch bei der WM dabei.«
»Meinst
du?«
»Ziemlich
sicher, und nach all dem, was ich hier erlebt habe, ist das immer noch sehr verlockend
für
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