Mit 80 000 Fragen um die Welt
Land? Nicht viel. Ich auch nicht, deswegen habe ich auf dem Flug einen Reiseführer gelesen. Na gut, ich habe ihn überflogen. Aber drei Dinge sind mir im Gedächtnis geblieben: Kaukasus, Gas und Öl. Aserbaidschan soll so absurd reich an Bodenschätzen sein, dass es angeblich gar nicht mehr weiß, was es mit seinem Reichtum anfangen soll. Vermutlich investiert es deshalb in absurde Nationaltrainer. Und dann las ich im Reiseführer noch ein absurdes Zitat über die Bevölkerung des Landes. Es heißt, die Aseri, also die Einwohner Aserbaidschans, seien «verschlagen». Beispiel: Wenn du im Restaurant nicht vorher fragst, was alles koste, könne es passieren, dass du am Ende das Datum mitbezahlst.
Entsprechend skeptisch betrete ich die Empfangshalle des Flughafens Heydär Äliyev. «Hello, hello!», ruft jemand. «Mister Dennis!» Es ist ein kleiner Mann, Mitte vierzig, mit schütterem Haar und einer deutlich verbogenen schwarzen Sonnenbrille. In der linken Hand hält er sein Handy, mit der rechten begrüßt er uns.
«I am Natiq, your driver!»
Der quirlige Kerl führt uns zu seinem Auto, einem schwarzen Geländewagen mit Allradantrieb.
«You are very lucky. I am not only driver, but also history expert of the country», sagt Natiq, während wir mit hoher Geschwindigkeit Richtung Downtown Baku rauschen. Der Rest der Stadt ist übrigens in wahrhaft historischen gelben oder blauen Ladas unterwegs, offenbar ist der Reichtum des Landes noch nicht überall angekommen.
«I tell you story. What kind of story is this?»
Natiq blickt uns bedeutungsschwer über den Rand seiner Sonnenbrille an, dann fährt er fort: «It is story about Baku. First of all: Why is Baku called Baku?» Wieder so ein Blick, wir wissen die Antwort aber leider nicht.
«I tell you why. Baku is called Baku because of the Persian words bad and kube. So what does bad and kube mean?»
Nope, keine Ahnung.
«‹Bad› means wind and ‹kube› means strong. So Baku means city of strong wind. It’s easy.»
Na bitte, das sind doch gute Nachrichten, schließlich ist es Hochsommer, und da kann ein wenig Sturm nicht schaden. Natiq fährt uns ins Hotel, einen zentral gelegenen Betonbunker mit schweren Teppichen und großen weißblauen Standvasen. «See you tomorrow!», ruft Natiq, und bei mittleren Winden aus Südwest checken wir ein. «Ah, you from Germany», sagt der junge Mann an der Rezeption. «I am big fan of Hitler! You see, Hitler used to know how to get things done.» Geduldig erkläre ich ihm, dass Deutsche in der Regel keine Fans von Adolf Hitler seien. Der Mann entschuldigt sich mehrmals, weist mich aber darauf hin, dass Aserbaidschan ein muslimisches Land sei und manche Muslime dem bösen Onkel Hitler durchaus etwas abgewinnen könnten. Und dass wir uns doch nicht schämen sollten.
Ich schlafe mit einem Lächeln ein. Gute Nacht, Stadt der Winde. Gute Nacht, Aserbaidschan. Gute Nacht, Reiseführer.Ich suche Absurdistan, und irgendetwas sagt mir, dass ich hier goldrichtig bin.
Der nächste Morgen beginnt mit Fett und Cholesterin. Eine ältere, schwer überlackierte Russin drückt mir im Speiseraum eine eingeschweißte Menükarte in die Hand. Ihre Kolleginnen sitzen in der Küche und sehen rauchend zu – keine von ihnen spricht Englisch. Oder besser gesagt: Keine hat Lust, Englisch zu sprechen. Eigentlich hat niemand Lust, überhaupt zu sprechen. Die Sowjets haben Aserbaidschan zwar offiziell vor zwanzig Jahren verlassen, aber ihre sympathische Art scheint dageblieben zu sein. Auf der Karte sind verblichene Fotos leicht unterschiedlicher Frühstücksvariationen: Rührei, Rührei auf Brot, Eier, Spiegeleier, Spiegeleier auf Brot. Ich entscheide mich für etwas mit Ei, dann kommt Natiq: «Good morning, Mr. Dennis, we have to get filming permission!»
Er fährt mit uns in die Innenstadt. Ich war zwar noch nie in Cannes, aber so ähnlich stelle ich es mir vor: hohe, weiße Prachtfassaden, eine nagelneue Uferpromenade, Gucci, Prada, Bulgari. Außerdem scheint es in Baku zwei Traditionen zu geben: Slipper und Polyesterhosen. Das günstige, aber stilvolle Standardoutfit des aserischen Mannes. Vielleicht die einzigen Traditionen, die hier überleben werden, denn ansonsten verdrängt der Bauboom all das, was einmal war. Überall schießen Wolkenkratzer in die Höhe, ganze Wände davon. Die Stadt ist eine einzige absurde Baustelle.
Wir erreichen ein großes neues Bürogebäude im Regierungsviertel der Stadt. Es ist kurz vor neun, und etwa dreißig
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