Mit 80 000 Fragen um die Welt
zwischen den kleinen Kratern sitzt eine Frau mit langen grauen Haaren und auffallend großen Zähnen, die all diese absurden Sehenswürdigkeiten vermarkten muss: Gila Altmann. Vielleicht kennen Sie «Miss Gila», wie Natiq sagt, noch aus dem Bundestag.
Frau Altmann war unter Rot-Grün Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, jetzt soll sie im Auftrag des aserischen Instituts für Tourismus reiche Urlauber ins Land locken. Für das Fernsehen hat sie auf einem roten, geknüpften Teppich Platz genommen, Kekse und Madeleines mitgebracht.
«Was ist absurder: Berlin oder Baku?»
«Da brauch ich noch ein bisschen Zeit», sagt Miss Gila.
Kurz und bündig. Sie ist eben Ostfriesin.
«Warum sollte ich hier Urlaub machen? Im Süden liegt der Iran, im Westen Armenien, mit dem Aserbaidschan im Krieg liegt, und im Norden ist Tschetschenien auch nicht weit.»
«Herr Gastmann, Aserbaidschan ist ein sehr sicheres Land!», antwortet Miss Gila und erzählt mir von Nationalparks, Klimazonen, Skigebieten und Vogelkundlern, die bevorzugt nach Aserbaidschan kämen.
«Ist Aserbaidschan eine Demokratie?»
Miss Gila hält inne: Ja, das Land sei auf dem Weg zur Demokratie, aber mehr könne und wolle sie darüber nicht sagen. Sie sei schließlich hier, um über Tourismus zu reden. Seltsam, zu Zeiten von Rot-Grün war Frau Altmann eine durchaus streitbare Politikerin. Ich probiere es nochmal.
«Bringt der Ölboom nur Gutes für Aserbaidschan?»
«Das muss man abwarten.»
«Stimmt es, dass hier alle so korrupt sind?»
Und jetzt entwischt Frau Altmann ein kleines, aber vielsagendes Lächeln. «Ich habe von Korruption gehört», erklärt sie geheimnisvoll, mehr könne sie aber nicht darüber sagen. Ich verstehe sie. Wenn sie in die Hand beißt, die sie füttert, dann verliert sie vielleicht nicht nur ihren Job. Aber wie gut, dass es einen Weltreporter gibt, der nichts zu verlieren hat.
Natürlich kannst du in Aserbaidschan nicht einfach sagen, was du denkst. Oder besser: Du kannst es nur ein einziges Mal sagen. Ein aserischer Bürgerrechtler hatte das kurz vor unserem Besuch zu spüren bekommen. Emin Milli gab dem ZD F-Magazin «Aspekte» ein Interview und wurde darin sehr deutlich. Das Öl, sagte er, schmiere in Aserbaidschan fast jedes Geschäft. Die Regierung könne es sich leisten, Oppositionelle und Protestler einfach zu kaufen. Und wer unbestechlich bleibe, den packe bald die eiskalte Hand des Staates.
Milli sollte recht behalten. Kurz nach dem Interview schlugen ihn zwei Männer in einem Restaurant zusammen. Der Bürgerrechtler ging zur Polizei und wollte Anzeige erstatten, aber er verließ das Revier nicht mehr. Man behielt ihn gleich da. Der Vorwurf: «Hooliganismus». Klingt absurd, aber Milli sitzt immer noch im Knast, und überall in Baku stehen Wachleute, die erst unsere Qastmann-Presseausweise sehen wollen und dann fragen: «Sind Sie vom ZDF?»
Freie Presse? Eine Straßenumfrage in Baku? Wenn die Leute hören, dass es um Politik geht, rennen sie vor deiner Kamera weg. Aserbaidschan gehört zu den korruptesten Ländern der Erde. Es ist zwar reich, aber von diesem Reichtum profitiert nur eine kleine Schicht – fast fünfzig Prozent der Aseri leben unterhalb der Armutsgrenze. Und statt die soziale Not des Landes zu lindern, schießt in Baku ein Prestigebau nach dem anderen in den Himmel. AngeblichGeldwäsche. Häuser, die niemand bewohnt und niemand braucht, Dutzende Wolkenkratzer mitten im Erdbebengebiet. Baku möchte Dubai sein, aber baut sich ein Absurdistan. Und was ist, wenn das Öl in zwanzig Jahren aus ist?
Ich besuche BP. Der Ölkonzern hat mit der Regierung Aserbaidschans einen großen Vertrag abgeschlossen und betreibt im Auftrag des Staates die Nabelschnur des Landes, eine Pipeline von Baku an den Russen vorbei über Tiflis nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste. BP empfängt mich auf dem Sangachal-Terminal, einer Gas- und Ölraffinerie am Kaspischen Meer. Es geht sofort in den Presseraum. Kaffee, Kekse, Propaganda. Eine ausgesprochen strenge und sehr laute Lady hält mir und einem holländischen Fotojournalisten einen langen Vortrag darüber, wie viele Millionen Tonnen Öl und Gas jetzt schon aus der Kaspischen See in Richtung Türkei strömen und wie viele es schon bald sein werden. Dann beginnt die Sprecherin, über Umweltschutz zu reden. Das könnte spannend werden.
Es habe in letzter Zeit «Gerüchte» gegeben. Umweltschützer hätten behauptet, dort, wo die Pipelines lägen, sei der Boden
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