Mit 80 000 Fragen um die Welt
Leute warten in einem kleinen betonierten Vorgarten auf Einlass. Ein paar Minuten später öffnet ein Beamter die Tür des Gebäudes, und alles rennt. «Come on, come on», ruft Natiq, und wir versuchen, mit der Meute Schritt zu halten.Wir rasen eine Treppe hinauf, bloß nicht hinfallen, dann noch eine, dann durch einen Vorraum und dann in einen weiteren Raum. Darin sitzen zwei Männer hinter einer Glasscheibe und warten auf Kundenkontakt.
Der lässt sich nicht lange bitten: Alle dreißig Personen rennen gleichzeitig an den Schalter, bilden eine Traube und reden laut auf den Schalterbeamten ein. Natiq schafft es, sich von ganz hinten durch die Menge bis ganz nach vorn zu wühlen. Nach zwei Minuten spuckt ihn die Menschentraube wieder aus: «This is wrong entrance!», sagt er, und außer Atem verlassen wir das Gebäude wieder Richtung Haupteingang. Dort geht alles ganz schnell. «Welcome to Azerbaijan», sagt ein Regierungsbeamter und drückt mir meinen Presseausweis in die Hand. Eine grob ausgeschnittene und verschweißte Karte: «Denny Qastmann» steht darauf. Das gefällt mir – endlich ein Reportername mit Format.
«Denny Qastmann wants to see your country!»
«Okay, Mister Denny», lächelt Natiq.
Sightseeing in Absurdistan, wir fahren ins Umland von Baku. Teerstraßen werden zu Schotterpisten, Prachtbauten werden zu einfachen Klinkerhäusern, aber die Baustellen hören nicht auf: halbfertige Bungalows, halbfertige Einfamilienhäuser, halbfertige Hotels, wohin du auch siehst. Es müssen Tausende sein. Weitere Highlights: gigantische grüne Melonen, die sie an jeder Ecke verkaufen, völlig überladene Ladas und riesige Salzseen. Je nach Wetterlage und Lichteinfall schimmern sie in Gelb, Grün oder anderen Farben.
«We have every colour you want. Which colour you want to see?» Ich entscheide mich für Rot. «Let’s go!», ruft Natiq, und wenig später erreichen wir tatsächlich einen weiten purpurroten See in der Halbwüste. Zwei Männer schaufelneinen Berg Salz auf, am Ufer steht eine aserische Familie mit hochgekrempelten Ärmeln und Hosenbeinen. Die Leute reiben sich mit öligem Schlamm ein, lassen ihn in der Sonne trocknen und waschen ihn im Salzsee wieder ab.
«This is very good for your skin!»
Ölschlamm soll übrigens auch gut für die Gelenke sein, Ölbäder helfen angeblich gegen Rückenschmerzen, Prostatabeschwerden und Unfruchtbarkeit. Du findest das klebrige Zeug überall in Aserbaidschan, und manchmal genügt es schon, einfach die Hand in den Boden zu stecken. Wenn du sie wieder rausziehst, ist sie schwarz.
Natiq fährt mit uns durch weite, völlig verdreckte Ölfelder, wenige Kilometer vor den Toren von Baku. Wir durchqueren einen Wald aus verschmierten und verrosteten Fördertürmen. Die Armee der ächzenden Ungeheuer reicht bis zum Horizont und taucht die Erde in ein trostloses, klebrigesSchwarz. Das alles haben die Sowjets dem Land überlassen. Die Älteren unter Ihnen wissen ja noch, wie es aussieht, wenn die Russen abhauen.
«I tell you story. What kind of story is this?»
Kurzer Blick zu mir nach hinten.
«It is story about my country. First of all: What is nickname of my country?»
Ich zucke genervt die Achseln.
«My country is called land of fire. Why is it called land of fire?»
«Natiq, please!»
«Okay, okay, I show you why! Let me take you to Yanardag.»
Auch davon hatte ich im Reiseführer gelesen. Yanardag, der brennende Berg, die angeblich atemberaubendste Sehenswürdigkeit des Landes: Ausströmendes Erdgas hat sich entzündet und, so heißt es, eine komplette Felswand in Flammen gesetzt. Natiq sagt, der Berg brenne lichterloh – und zwar schon seit dem Altertum. Mein Reiseführer behauptet allerdings, ein ungeschickter Hirte hätte den Fels vor fünfzig Jahren versehentlich in Brand gesteckt. Wie auch immer: Als wir Yanardag erreichen, ist mir das alles schon wieder egal, denn leider ist der brennende Berg nicht viel mehr als eine brennende Böschung. Daneben steht eine kleine Teebude, und vor dem Feuer lungern drei Wachleute. Sie wollen Geld.
Und das sind die weiteren Attraktionen des Landes: ein Tempel mit einer «ewigen Flamme», die jeden Abend nach dem Besucheransturm gelöscht wird; ein Stein, der angeblich wie ein Tambourin klingt, wenn man mit einem anderen Stein darauf herumkloppt; und Schlammvulkane hoch oben auf einem Berg. Die gefallen mir: kalte, kleine Tümpelaus Wasser, Schlick und Gas, die alle zwei Minuten «Blubb» machen. Das war’s. Und
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