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Und vor allem: Schenke dem Kaninchen in Bunluas Käfig keine Aufmerksamkeit. «Das ist sein Kaninchen», sagt Michelle, «und Bunlua liebt das Kaninchen. Aber wenn du es streichelst, wird er wütend. Dann tötet er das Kaninchen.» Seit Bunlua von einem Rudel Hunde angegriffen wurde, hat er sich verändert. Äußerlich: Er besitzt nur noch seinen linken Arm und keine Beine mehr. Innerlich: Der Affe ist nun eine launische Primadonna. «Männer. So sind sie eben. Testosteron verursacht Probleme.»
Eigentlich müsste Testosteron Michelles zweiter Vorname sein. Die Australierin läuft breitbeiniger als John Wayne, sie ist auffällig tätowiert, und auf ihrem wuchtigen Kreuz trägt sie einen kantigen Schädel mit kurzen schwarzgrauen Haaren und sauber ausrasiertem Nacken. Michelle ist gelernte Zoowärterin, hätte aber besser in die Army gepasst. Jetzt kümmert sie sich um die gestrandeten Tiere auf einer thailändischen Elefantenfarm bei Ayutthaya – und um die Besucher, die hier überleben wollen. «Ich muss dir noch etwas zeigen», ruft Michelle und führt mich zu einem Wasserbecken aus Beton, etwa fünf mal drei Meter groß. Sie klopft ein paarmal mit der flachen Hand an den Beckenrand. Plötzlich taucht unter der trüben Oberfläche ein Schatten auf. Ein großer Schatten. Einwirklich sehr großer Schatten. Michelle wirft einen toten Vogel in das Bassin, und der riesige Schatten schnellt aus dem Wasser. Für eine Sekunde scheint es so, als würde das ganze Becken explodieren. «Deswegen möchte ich nicht, dass du da reinfasst!» Ich verspreche es ihr hoch und heilig.
Ach ja: Natürlich gibt es auch Elefanten auf dieser Farm, sie sind schwer zu übersehen, es sind über zweihundert. Die Babyelefanten und viele Weibchen laufen frei über das Gelände aus Wiesen, offenen Gehegen, Bambushütten und einem kleinen Tempel. Auf den gewaltigen Bullen reiten Männer, sogar Kinder steuern die Giganten. Ganz allein.
«Ein Elefant hat immer Vorfahrt. Egal, ob er Bambus transportiert oder einfach nur durch die Gegend läuft, mach ihm einfach Platz und sieh zu, dass du niemals zwischen zwei Elefanten gerätst – sie werden dich zerquetschen. Und da ist noch etwas: Wir haben hier auf der Farm über achtzig Bullen, und die Brunft beginnt. In dieser Zeit haben die Typen mächtig Kopfschmerzen und versuchen, alles zu töten, was sich bewegt.»
«Alles?»
«Alles. Halt dich einfach fern von ihnen!»
Ich verstehe. Testosteron verursacht Probleme.
Trotz dieser Sicherheitseinweisung folge ich Michelle mit einem flauen Gefühl über das Farmgelände. Es ist, als würden wir einfach quer durch ein Gehege in Hagenbecks Tierpark spazieren. Von links und rechts kreuzen graue Riesen, hinter uns laufen Babyelefanten, stupsen mich an und versuchen, meine Mütze zu klauen.
«Wir haben übrigens gerade hohen Besuch!»
Eine echte Prinzessin gebe sich für ein paar Tage mit ihrem Gefolge auf der Farm die Ehre: Yugala Rangsinoppadol,angeblich so etwas wie die thailändische Lady Di. Yugala sei die Schutzpatronin der Elefanten, eine der angesehensten Persönlichkeiten des Landes, und vielleicht, so heißt es, werde sie eines Tages sogar den Thron besteigen. Doch noch thront Ihre Majestät breitbeinig auf einem weißen Plastikstuhl.
«Das ist sie!»
Michelle weist dezent auf eine rauchende alte Frau mit verquollenen Augen, schwarzem Schlabber-Shirt und grünen Leggings. Die Prinzessin macht kein besonders erfreutes Gesicht, also ziehen wir weiter.
Michelle möchte mich dem Besitzer der Farm vorstellen, ein Mann mit gütigen Augen und der Aura eines Mönchs. Wir treffen ihn vor seinem Wohnhaus. «Mein Name ist Piom, willkommen auf meiner Farm.» Der Meister verbeugt sich vor mir und bittet mich, auf einer Bank direkt unter einem Elefanten Platz zu nehmen, ein gewaltiger Bulle mit geschwungenen Stoßzähnen. «Keine Sorge, ich bin mit ihm aufgewachsen. Dieser Elefant wird uns nichts tun.»
Wir setzen uns, und Piom tätschelt die Wangen des Tiers, kitzelt seine Zunge, und der Koloss brummt wie ein riesiger Teddybär. Piom ist Mahut, ein Großmeister unter den Elefantenfahrlehrern. «Für mich ist ein Elefant kein Tier. Es ist ein Mensch wie du und ich. Und dieser Elefant hier ist ein gleichberechtigtes Mitglied meiner Familie.»
«Haben Sie denn einen Elefantenführerschein?»
«Weißt du, viele Leute kommen hierher und fragen nach einem Führerschein. Aber ein Elefant ist kein Auto, und der Führerschein steckt tief in deinem Herzen. Dein
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