Mit 80 000 Fragen um die Welt
gemeinsam durch eine der gefährlichsten Gegenden Lateinamerikas. Neben uns der Capitan, ein gutaussehender, austrainierter Kerl in Tarnanzug und schusssicherer Weste. Hinter uns drei weitere schwerbewaffnete Polizisten. Ich bin immer noch in Flipflops unterwegs, Carolin auf High Heels. «Wie abgefuckt das hier aussieht!», ruft sie und schießt Fotos mit ihrer Digitalkamera. «Vielleicht sollte ich professionelle Führungen durch dieses Viertel anbieten. Panama-Bagdad-Tours.»
Schon mal von Cara de Piña, dem Ananasgesicht, gehört? So nannten die Panamaer ihren pockennarbigen Militärdiktator Manuel Noriega, der das Land in den Achtzigern ausbeutete. Ein korrupter Drogenbaron, unterstützt vom CIA. Doch als die Ananas begann, ihr Koks ganz ungeniert in jede Ecke der USA zu exportieren, trieb sie es zu weit. In einer Nacht des Jahres 1989, kurz vor Weihnachten, tauchten amerikanische Apache-Hubschrauber über Panama City auf, und Kriegsschiffe landeten in der Bucht. Eine Blitzinvasion in zwölf Stunden. Die Amerikaner vermuteten Noriega in El Chorrillo und machten das Viertel demErdboden gleich – viertausend Häuser gingen damals in Flammen auf. Manche sagen, Noriega sei das ganz recht gewesen. Er habe sogar auf Zivilisten schießen lassen, weil er Fernsehbilder von toten Frauen und Kindern gut gebrauchen konnte.
In El Chorrillo hat niemand diese Dezembernacht vergessen. Und keine Regierung bekam das Viertel bis heute in den Griff.
Capitan Garcia erhält einen Funkspruch. «Wollt ihr mal einen bösen Jungen sehen? Dann kommt mit. Ich zeige euch einen richtig bösen Jungen.»
Keine Ahnung, was jetzt passiert. Carolin stöckelt und ich flipfloppe dem Polizeichef hinterher. Wir folgen ihm in einen dunklen Hauseingang. Dort haben die Kollegen des Capitans mehrere Männer aus El Chorrillo in Handschellen an die Wand gestellt. Tätowierte Jungs in T-Shirts . Sie wirken nicht besonders überrascht.
«Was passiert hier?»
«Gegen diese Kerle läuft ein Strafverfahren. Vermutlich haben sie geraubt oder gemordet. Die kommen jetzt mit aufs Revier, wir machen Fotos und nehmen ihre Daten auf.»
Garcia kassiert gleich die halbe Nachbarschaft ein. Sicher ist sicher. Die Polizisten laden vor laufender Kamera ein halbes Dutzend der angeblich bösen Jungs in einen weißen Transporter. Auch einen Gangster im Rollstuhl. Niemand wehrt sich. Ist das hier echt? Oder will die Polizei dem deutschen Fernsehen nur zeigen, wie hart sie durchgreifen kann?
«Sie nehmen alle fest?»
«Ja, das sind üble Typen. Die wollen jede Nacht um sich schießen.»
Wir folgen dem weißen Transporter an den Eingang des Polizeireviers und verabschieden uns von Capitan Garcia. Ob er ein guter oder ein böser Junge ist, mag ich nicht beurteilen. Carolin verschwindet mit ihm auf der Wache. Nach ein paar Minuten kehrt sie zurück.
«Wow, dadrinnen sieht es aus wie in Guantánamo! Die Bullen sind echt hart drauf.»
Wie schön ist Panama? Die Panameños nennen ihr Land «Brücke der Welt» und «Herz des Universums». Panama hat Glück gehabt, geographisches Glück. Zwischen Colón an der Atlantikküste und Panama City am Pazifik liegen nur achtzig Kilometer Land. Der ideale Ort für eine Schneise, für den Kanal. Die Lebensader Panamas spült einen Haufen Geld ins Land, doch er kommt offenbar nur bei wenigen an. Nicht in El Chorrillo. Und auch nicht bei denen, die den Reichtum des Landes mit ihren eigenen Händen aufgebaut haben.
Ich besuche das Catherine Brown Home, ein kleines türkisfarbenes Haus mit roten Dachpfannen und gelben Fensterläden. Darin scheint die Zeit stillzustehen. Drinnen ist es heiß, sehr heiß. Nur ein Deckenventilator schiebt etwas Luft durch den Raum. Jede Bewegung kostet Kraft. Und die Heimbewohner haben sich genug bewegt in ihrem Leben. Es sind ehemalige Kanalarbeiter, Männer und Frauen, viele von ihnen weit über neunzig Jahre alt. Mit ihren knochigen Händen klammern sie sich an die Lehnen ihrer Schaukelstühle und warten. Sie warten auf den Tod. Die meisten von ihnen können die Schönheit Panamas nicht mehr mit eigenen Augen sehen.
Willie hat nie eine Sonnenbrille besessen, und irgendwann gaben seine Pupillen dem gleißenden Licht nach. Heute sind seine Augen weiß. Old George trank und jagtesich irgendwann eine Kugel in den Kopf. Er überlebte, aber jetzt ist er blind, und manchmal treiben ihn sonderbare Wutausbrüche. George Lawrence Campbell junior, Ex-Kanalarbeiter und Ex-Junkie, weiß nicht, warum er nichts mehr
Weitere Kostenlose Bücher