Mit anderen Augen (German Edition)
sitzen.“
„Und warum nicht?“, fragt Jannik und zieht einen Pullover über sein Shirt. „Was ist, wenn ich einen Vertrag unterschreibe? Wäre das...?“
Weiter kommt er nicht, weil ich die Tasche fallengelassen habe, um ihn zu packen und mit dem Rücken an die Wand zu pressen. Er keucht schockiert auf, sieht mich entsetzt an. „Was von, die Yakuza macht Geschäft mit Männern, hast du nicht verstanden?“
„Ich bin einundzwanzig und damit alt genug“, antwortet er sichtlich angesäuert.
„Du hast bislang nichts im Leben vorzuweisen, Jannik. Selbst wenn du Einunddreißig wärst, würden sie nicht mit dir verhandeln, wenn du außer dem Collegeabschluss nichts zu bieten hast. Es geht nur um die Ehre, nicht um dein Alter.“
Er sieht mich erstaunt an. „Soll ich etwa jemanden umlegen, um von der Yakuza gehört zu werden?“
„Das wäre ein guter Weg“, gebe ich zu und da zeigt sich, wer von uns der Killer ist. Er nämlich nicht, so blass wie er plötzlich wird. Ich muss ungewollt lächeln. „Du führst Gespräche mit einem Mörder, aber hast Angst davor, selbst einen Menschen umzubringen?“
„Das ist nicht dasselbe.“
Da hat er allerdings Recht. „Das weiß ich. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass du tot bist, wenn du hierbleibst. Also?“ Ich lasse ihn los und nehme die Tasche. „Ich oder der Tod?“
„Wo ist der Unterschied?“
„Mit mir bleibst du am Leben“, antworte ich und überlege kurz, um dann einzuschränken. „Vielleicht.“
Janniks Mundwinkel zucken, aber er verkneift sich den Kommentar, der ihm auf der Zunge liegt. Stattdessen nickt er und geht in den Flur, um mitgenommen aussehende Turnschuhe anzuziehen, während ich Bob hole.
„Katzenfutter?“
Er hat Sorgen. Ich verdrehe die Augen und drücke ihm die Box in die Hand, als er seine Jacke angezogen hat. „Nicht wichtig. Wir besorgen unterwegs, was wir brauchen.“
„Wohin willst du?“
Ich ziehe die Tür auf und werfe sicherheitshalber einen kurzen Blick in den Flur. Niemand zu sehen. Es ist zu früh, aber lieber bin ich etwas zu paranoid, als dass ich mit einer Kugel im Kopf ende. „Erste Station ist Philadelphia. Dann sehen wir weiter.“
Eine Stunde später sieht er mich über das Dach des Wagens, den ich für unsere Fahrt vor der Haustür einem seiner Nachbarn geklaut habe, ungläubig an. Ich habe den John F. Kennedy Memorial Highway in Richtung Philadelphia genommen und bin bei Aberdeen abgefahren, um uns etwas zu essen zu besorgen. Wir liegen gut in der Zeit, haben noch ungefähr eine Stunde Fahrt vor uns. Die Straßen sind leer und das hat mich auf die Idee gebracht, Jannik das Steuer zu überlassen, damit ich meinen Laptop nehmen und unsere Flucht weiter planen kann. Sein Blick macht mir allerdings klar, dass daraus nichts wird.
„Was ist denn?“, will ich wissen, als er sich nervös auf die Unterlippe beißt.
„Ich kann nicht Autofahren.“
Ich sehe ihn überrascht an. Das stand nicht in den Akten über ihn. Andererseits habe ich auch nicht danach gesucht. In Großstädten wie Baltimore ist es üblich, Bus oder Bahn zu benutzen, obwohl man einen Führerschein und einen Wagen hat. Allerdings machen vor allem die reichen Kids ihren Führerschein, sobald sie alt genug sind. Wieso also er nicht? An Geldmangel kann es nicht gelegen haben.
„Warum nicht?“
Jannik wird rot und zuckt dann die Schultern. „Kein Interesse.“
Er lügt. „Zweiter Versuch“, sage ich daher, weil ich es wissen will.
„Ich hab' mich zu blöd angestellt, okay?“
Irgendwie habe ich das dumme Gefühl, dass sein Vater da die Finger im Spiel hat. Vermutlich wollte der Alte es Jannik beibringen und hatte keine Geduld dafür. Es würde zu einem Vorfall in Richard Whistlers Akte passen, erinnere ich mich. Ein harmloser Autounfall vor einigen Jahren. Nur Blechschaden. Ich rechne gedanklich kurz zurück. Ja, das kommt hin, Jannik war damals fünfzehn.
„Er wollte es dir beibringen und du hast den BMW in den Graben gesetzt.“
„Woher...?“
Jannik bricht seine Frage sofort wieder ab, hat sich damit aber schon verraten. Ich nicke und deute auf den Autoschlüssel in seiner Hand, der seinen ungläubigen Blick zuvor ausgelöst hatte. „Steig' ein.“
„Aber...“
„Entweder lernst du es, oder wir übernachten hier auf der Straße.“
„Du bist ein gottverdammtes Arschloch“, flucht er, als ich bereits im Wagen sitze und mich amüsiert anschnalle. Es dauert fünf Minuten, bis er endlich einsteigt und es mir
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