Mit anderen Augen (German Edition)
Jannik meine schroffe Haltung nicht abschrecken wird. Das hat, dank Bob, schon von Anfang an nicht funktioniert, warum sollte es das also jetzt tun?
„Würdest du nicht“, erklärt er da auch schon und beweist, dass ich richtig gelegen habe. „Du würdest es nicht ändern, selbst wenn du es wüsstest.“
Ich seufze leise. „Nein, würde ich nicht. Den Grund dafür weiß ich allerdings nicht.“
„Vielleicht magst du mich“, schlägt Jannik nach kurzem Schweigen vor und der Gedanke beschert mir eine Gänsehaut, denn bei genauerer Überlegung ist er gar nicht so abwegig.
„Warum sollte ich?“
„Weil du genauso wenig gute Freunde hast wie ich. Weil du genauso einsam bist und ich wette, deine Kindheit war genauso beschissen wie meine.“
Nein, war sie nicht. Jedenfalls nicht die ersten vierzehn Jahre. „Du behauptest also, ich habe dich gerettet, weil wir uns ähnlich sind?“
„Ja.“
Dass wir uns in mancher Hinsicht ähnlich sind, ist nichts Neues für mich. Dass er das ebenfalls so sieht, habe ich nicht erwartet. Ich sehe Jannik an und zucke die Schultern. „Die Erklärung ist genauso gut wie jede andere. Und jetzt zieh' dir etwas an, du bist krank.“
Er wendet sich schnaubend ab, um ins Badezimmer zurückzugehen. „Du hast sie wirklich nicht mehr alle.“
„Ich bin Profikiller, was erwartest du?“
Er lacht unterdrückt und wirft die Tür hinter sich zu, während ich grinsend zu Bob schaue, der wieder um meine Beine herum streicht und lauthals schnurrt, als ich ihn auf meinen Schoß hebe, um ihn zu streicheln.
„Wo ist der Wagen?“
„Weg.“
„Wie weg?“
„Wir besorgen uns einen neuen“, antworte ich und schließe die Tür ab, um die Schlüssel für das Hotelzimmer zurückzubringen. Bezahlt habe ich bereits letzte Nacht, wir können also sofort los.
„Den ich hoffentlich nicht klauen muss“, murmelt Jannik und bringt mich damit ungewollt zum Lachen, was ihn wiederum grinsen lässt, während er mit Bob in der Transportbox und seiner Reisetasche über einer Schulter neben mir herläuft.
„Wir werden uns einen Mietwagen nehmen oder einen kaufen.“
„Hast du soviel Geld?“
„Es wird reichen“, antworte ich schlicht und statt einer Antwort niest Jannik und schlägt den Kragen seiner Jacke hoch.
Wenn ich es mir recht überlege, ist ein Mietwagen die bessere Idee. Mietwagen haben Heizung und wir können das Auto in Philadelphia abgeben und auf ein anderes umsteigen. Meine erste Idee letzte Nacht, weiter Autos zu klauen, habe ich nach kurzer Überlegung fallenlassen. Mit Jannik im Schlepptau ist das sinnlos. Er würde uns ungewollt die Cops auf den Hals hetzen. Es gibt Menschen, mit denen kann man kein Verbrechen begehen, weil sie immer schuldig aussehen. Jannik ist so ein Typ. Er würde vermutlich nicht mal eine Packung Kaugummi klauen können, ohne erwischt zu werden. Ehrlich zu bleiben, ist daher die sicherste Möglichkeit für uns.
IV
Irgendetwas stimmt nicht.
Ich habe den Gedanken kaum beendet, da stoße ich Jannik bereits zurück und lasse mich gleichzeitig zu Boden fallen, um eines meiner Messer zu ziehen und es in die Dunkelheit des Hauses zu werfen. Das folgende Stöhnen bestätigt mir einen Treffer, aber ich bin zu lange dabei, um zu wissen, dass es damit nicht getan ist. Profikiller geben nicht so schnell auf. Da müsste das Messer schon ein Blutgefäß oder sonst eine wichtige Körperstelle treffen.
„Zack?“, fragt Jannik leise und in seiner Stimme schwingt hörbare Angst mit.
„Halt' den Kopf unten und bleib' in Deckung. Ich weiß nicht, ob er allein ist.“
Ich spüre sein Nicken und ziehe ein zweites Messer, um ins Haus zu robben. Schnell, effizient und im Dunkeln bleibend. Ich weiß nicht, wer da drin auf mich wartet und ich weiß ebenso wenig, welche Waffe der Killer in der Hand hat. Ich weiß nur, dass ich am Leben bleiben muss, sonst hat Jannik keine Überlebenschance. Allerdings habe ich einen entscheidenden Vorteil, denn ich kenne dieses Haus wie meine Westentasche und das weiß ich zu nutzen.
Mich an der Wand haltend, komme ich unbehelligt bis zur Küche. Wer immer im Haus auf uns gewartet hat, hält sich jetzt entweder im Wohnzimmer auf oder im oberen Stockwerk. Die zweite Möglichkeit schließe ich aus, denn eine Flucht nach oben hätte ich gesehen und vor allem gehört.
Die Solarlampen im Garten bieten genug Licht, um die Stufen der Treppe und einen Teil des Flurs zu beleuchten. Deswegen habe ich das Haus damals
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