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Mit anderen Augen (German Edition)

Mit anderen Augen (German Edition)

Titel: Mit anderen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Kroll
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verschwinden können. Perfekter geht es nicht.
    Es ist mittlerweile Anfang November und seit unserem Gespräch auf der Bank dieses Hotels, hat sich irgendetwas zwischen uns verändert. Ich kann es nicht beschreiben, aber das Gefühl, Jannik beschützen zu müssen, ist noch stärker geworden. Dabei gibt es dazu im Moment gar keinen Grund. Keine neuen Angriffe, keine weiteren E-Mails, nicht das geringste Anzeichen von Gefahr.
    Diese Ruhe vor dem Sturm ist einerseits angenehm, aber sie macht mich gleichzeitig auch misstrauisch. Auf Jannik hat sie allerdings den gegenteiligen Effekt. Er ist längst nicht mehr so nervös und unruhig, wie zu Beginn unserer Flucht. Stattdessen lacht er viel und versucht regelmäßig mich zu necken und damit auch zum Lachen zu bringen. Wenn ich nicht darauf reagiere, stichelt er, aber in so einer albernen Art und Weise, dass ich am Ende doch lache oder zumindest grinse. Ich weiß nicht, wie er das macht und warum, und es ist nicht so, dass ich ihn nicht gefragt hätte.
    Jannik meinte dazu nur, es wäre Zeit, dass wir Freunde werden. Ein Auftragskiller und sein ehemaliges Opfer. Wir sollen Freunde werden? Mein erster Gedanke dazu war, ihn auszulachen. Bis ich gemerkt habe, dass er das ernst meint. Daraufhin habe ich ihm erklärt, dass ich keine Freunde habe oder hatte, was er mit einem lässigen Schulterzucken und dem trockenen Kommentar, dass es für alles ein erstes Mal gibt, abgeschmettert hat.
    Ich habe nichts mehr dazu gesagt, weil ich, um ehrlich zu sein, auch nicht wusste, wie ich darauf reagieren soll. Freundschaften sind nicht gerade mein Spezialgebiet, aber wenn es Jannik glücklich macht in mir einen Freund zu sehen, dann soll er es tun.
    Schaden kann es ohnehin nicht, wenn wir näher zusammenrücken, denn Whitefish ist zwar klein, aber ich kenne die Stadt nicht, und das ist ein Nachteil, gegen den ich etwas tun muss. Ich werde ein paar Tage brauchen, mir hier alles anzusehen, Fluchtwege zu suchen und mich mit der Gegend genau vertraut zu machen.
    Wenn das erledigt ist, werde ich damit anfangen Jannik auszubilden. Er muss lernen, sich zu verteidigen. Das hätte ich schon viel früher machen sollen, aber während der Flucht war es einfach nicht möglich. Hier werden wir allerdings eine Weile bleiben und ich will, dass er sich durchschlagen kann. Im Notfall auch ohne mich.
    Das Thema Waffen kann ich dafür jedoch streichen. Ich habe noch niemals zuvor jemanden gesehen, der so präzise danebenschießt wie Jannik. Selbst als Rekrut in der Armee, ohne irgendwelche Erfahrung, habe ich mich nicht so stümperhaft angestellt wie er. Es dürfte daran liegen, dass er beim Schuss die Augen zukneift, genau wie jetzt.
    „Nicht die Augen zumachen“, warne ich, kann mir das Lachen dabei aber nicht verkneifen, denn er macht es wirklich jedes Mal. Bei jedem Schuss schließt Jannik die Augen und macht sie erst wieder auf, wenn ich genug Zeit gehabt hätte, ihn dreimal oder mehr umzubringen.
    „Ich mach' das nicht absichtlich. Es passiert einfach“, beschwert er sich und hat für mich nur einen bösen Blick übrig, als ich nun wirklich loslache. „Das ist nicht witzig, du Blödmann. Ich treffe in zehn Jahren keinen Baum, wenn das so weitergeht.“
    „Kein Wunder, so wie du deine Hand beim Schuss immer nach oben reißt“, ärgere ich ihn, denn das ist sein zweites Problem.
    „Pfft“, murrt Jannik beleidigt und zielt wieder auf die Zielscheibe am anderen Ende des Platzes.
    Bisher hat er drei Magazine verschossen und nicht ein einziges Mal getroffen. Ich weiß nicht mehr, wie wir überhaupt darauf gekommen sind, aber mitten beim Frühstück in diesem Diner am Stadtrand waren wir auf einmal in eine Diskussion über Waffen verstrickt, weil Jannik wollte, dass ich ihm das Schießen beibringe. Das hat ein paar Leute an den Nachbartischen auf uns aufmerksam gemacht und ruckzuck hatte er zwei ältere Männer und ein junges Pärchen auf seiner Seite, die der Meinung waren, dass eine Waffe nicht schaden kann, vor allem, wenn man sie zu benutzen weiß.
    Ich hielt das Ganze für keine gute Idee. So heftig wie Janniks Hände bei seiner ersten Autofahrt gezittert haben, war ich der Meinung, er würde sich eher in den Fuß schießen, als jemals ein Ziel zu treffen, das kleiner als eine Lagerhalle ist. Andererseits haben Glückstreffer schon mehr als einem Opfer das Leben gerettet und Autofahren kann Jannik mittlerweile auch ganz gut.
    Ein Auto ist aber keine Waffe und ich bezweifle, dass Jannik jemals lernen

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