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Mit anderen Augen (German Edition)

Mit anderen Augen (German Edition)

Titel: Mit anderen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Kroll
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Desinfektionsspray greife. Jannik dreht sich zu mir, als er das Zischen hört und greift mit einem Schlucken nach dem Pflaster, das ich bereitgelegt habe, um die Wunde abzudecken.
    „Holst du mir meine Tasche? Ich brauche etwas zum Anziehen.“
    Jannik nickt und geht zum Bett. Er nimmt meine Reisetasche, dreht sich um und stolpert prompt über einen der Tragegurte des Rucksacks. Seinen Sturz kann er gerade so abfangen, meine Kleidung landet dabei allerdings auf dem Boden. Dasselbe gilt für eine unscheinbare Box, die ich zwischen meinen Sachen versteckt hatte, und deren Deckel beim Aufprall aufspringt. Ihr Inhalt verteilt sich kreuz und quer zwischen den Sachen zu Janniks Füßen.
    Reisepässe, Führerscheine, Kreditkarten und Geburtsurkunden. Er braucht nicht lange, um zu verstehen, was er da zufällig gefunden hat. Jannik hockt sich hin, sammelt wortlos meine Sachen ein und legt sie zurück in die Reisetasche, bevor er ein paar Reisepässe aufhebt, um sie sich genauer anzusehen.
    „Zachary Evans, Zachary Mitchell und Zachary Davis.“ Er sieht mich kurz an und nimmt weitere Pässe in die Hand. „Henry Martin. Adrian Martin. Nicholas Martin...“ Jannik sieht auf und deutet auf die übrigen Papiere. „Bist du einer davon? Ich meine, ist eine dieser Identitäten dein richtiger Name?“
    Ich werde ihn nicht anlügen. „Ja.“
    „Du wirst mir nicht sagen welcher, oder?“, fragt er weiter, obwohl er die Antwort genau kennt, ich sehe es ihm an.
    „Es ist sicherer, wenn du es nicht weißt.“
    Jannik nickt und räumt die Papiere ebenfalls wieder ein, bevor er die Box aufs Bett legt, mir einen sauberen Pullover bringt und dann ohne ein weiteres Wort das Zimmer verlässt. Ich verfluche mich innerlich, denn seine Reaktion ist eindeutig. Jannik ist wütend oder enttäuscht, vermutlich ein bisschen von beidem. Ich räume das Verbandszeug weg und gehe zu Bob, der in einem Sessel neben der Tür liegt und uns die ganze Zeit schweigend beobachtet hat.
    „Ich hab's vermasselt, oder?“
    Bob legt den Kopf schief, als würde er nachdenken. Ich hocke mich hin, um ihn zu streicheln.
    „Glaubst du, ich sollte ihm nachgehen? Er ist nicht sicher, wenn er allein draußen ist.“
    Bob schnappt nach meiner Hand, was mich seufzen lässt.
    „Schon gut, streich' den letzten Satz.“
    Mit einem Schnurren wendet sich Bob von mir ab und rollt sich auf dem Sessel zusammen. Keine Ahnung, warum mich das zum Lächeln bringt, aber es ist mir auch egal. Ich weiß, was ich jetzt zu tun habe.
    Jannik sitzt auf einer der Bänke, die um den Pool herumstehen, der zum Hotel gehört, und im Sommer garantiert ständig von den Gästen genutzt wird. Da wir Spätherbst haben, ist der Pool schon leergepumpt und winterfest gemacht worden. Ich lege Jannik seine Jacke um die Schultern, die er zuvor nicht mitgenommen hat, und setze mich neben ihn.
    „Es ist wirklich sicherer für dich, wenn du meinen richtigen Namen nicht kennst, Jannik.“
    „Ich weiß. Darum geht es mir gar nicht.“
    Was ist es dann? „Wieso bist du sauer auf mich?“
    Jannik seufzt. „Ich bin auf mich sauer, nicht auf dich.“
    Wie meint er das denn? „Das verstehe ich nicht.“
    Er lacht kurz und bitter auf. „Wie sollst du auch?“
    „Erklär's mir“, fordere ich, weil ich wirklich keine Ahnung habe, was gerade mit ihm los ist. Ich hatte erwartet, dass er wütend auf mich ist, weil er das Recht dazu hätte, aber auf sich? Das ergibt für mich keinen Sinn.
    „Wir sind seit Wochen zusammen unterwegs, Zack, und während du alles über mich weißt, kenne ich nicht mal deinen richtigen Namen, verstehst du?“ Er sieht mich kurz an, schüttelt frustriert den Kopf und sieht wieder nach vorn. „Ich weiß, dass du dich schützen musst, aber... Ach, vergiss es einfach. Ich kriege mich schon wieder ein.“
    Das bezweifle ich, denn jetzt ist mir klar, was los ist. Wieso habe ich es nicht bemerkt? Jannik fühlt sich ausgeschlossen. In Baltimore hatte er vielleicht kein perfektes Leben, aber er hatte eines. Hier und jetzt, mit Kater Bob und mir zusammen auf der Flucht, hat er nichts mehr. Die ersten Tage hat das Adrenalin und seine Erkältung dafür gesorgt, dass er für solche Gedanken keine Zeit hat, aber wir sind schon seit Wochen unterwegs und je länger diese Flucht dauert, desto deutlicher wird ihm bewusst werden, dass er, wie immer das Ganze ausgeht, nie mehr an sein altes Leben anschließen kann.
    Jannik kann nicht einfach wieder nach Baltimore zurückkehren und sein Leben

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