Mit Blindheit Geschlagen
angezeigt. Er verließ die Autobahn und fuhr nach Beeskow hinein. Kein Mensch war auf der Straße, er hielt vor einer Gaststätte. Drinnen saßen zwei Männer am Tresen und tranken Bier. Er fragte den einen nach dem Weg. Er wusste es nicht, der andere mischte sich ein und erklärte. Es war nicht weit. Fünf Minuten später stand er vor einem zweistöckigen Haus mit schmutzigem Putz. Es waren vier Klingelschilder, auf dem unteren stand Zakowski. Er klingelte und hörte bald ein Schlurfen. Ein Mann öffnete die Tür, er war klein, dürr und hatte eine Halbglatze.
»Guten Tag, ich bin Dr. Stachelmann, wir hatten miteinander telefoniert.«
»Dann kommense mal rein«, sagte Zakowski. Er berlinerte. Aber es klang nicht unfreundlich. Er führte Stachelmann in eine warme Küche mit verschlissenen Möbeln. Es roch muffig, er hatte lange nicht gelüftet. Aber es war nicht schmutzig.
»Wie hat es Sie von Westberlin hierher verschlagen?«, fragte Stachelmann, um etwas zu sagen.
»Ganz einfach, hier ist alles billiger, vor allem die Miete. Mit der Stütze kommt man in Berlin nicht weit.« Er setzte sich auf einen Küchenstuhl. Stachelmann wartete, ob er ihm einen Platz anböte, dann setzte er sich auf den anderen Stuhl.
»Sie haben mich angelogen«, sagte Zakowski scharf.
»Ich habe mit Henry gesprochen. Sie werden als Mörder verdächtigt. Richtig?«
Stachelmann erschrak. Aber dann sagte er sich, der hat mich reingelassen. Wittstock hat Zakowski wohl gesagt, dass der Verdacht nicht zutreffe. »Was würden Sie antworten, wenn ich Sie fragte, ob ich Sie besuchen darf, weil ich als Mörder verdächtigt werde? Sie würden mich nicht in Ihre Wohnung lassen. Aber, wie Sie sehen, laufe ich frei rum. So weit ist es nicht her mit dem Verdacht.«
»Henry glaubt das auch«, sagte Zakowski freundlicher.
»Er sagt, Sie suchen Wolles Mörder, weil die Bullen versuchen, Ihnen die Geschichte anzuhängen. Richtig?«
»Richtig.«
»Sie kommen aus Lübeck, richtig?«
Stachelmann nickte.
»Da sind Sie den weiten Weg umsonst gefahren. Aber Sie sollen wenigstens einen Kaffee kriegen.« Er sagte Kaffee, als hätte das Wort drei F und nur ein E. Er füllte Wasser und Pulver in eine Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Dann holte er Tassen und Untertassen aus einem Hängeschrank. »Zucker?«
Stachelmann winkte ab. »Warum umsonst?«
»Weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wer Wolle umgebracht haben soll. Ich war es jedenfalls nicht.« Er klang unbeschwert.
»Wolle scheint nicht Ihr bester Freund gewesen zu sein.«
»Richtig. Er war ein Wichtigtuer.«
»Ein Wichtigtuer?«
»Er wusste alles besser, hat an den Kameraden rumgemekkert. Vor allem, nichts ging ohne seinen Segen.«
»Dann war er so eine Art Anführer?«
»Richtig. Niemand hat ihn aufgefordert oder gewählt. Als er zu uns kam, da hat er eine Weile die Klappe gehalten, aber dann ging es los. Er hat einen nach dem anderen auf seine Seite gezogen, nur mit mir hat es nicht geklappt. Ich war schon in diesem Geschäft, als der noch in Zonenwindeln geschissen hat.«
»Herr Wittstock sagt, Griesbach habe die Gruppe gegründet.«
»Henry bringt da was durcheinander. Ich sage Ihnen, Griesbach kam erst später dazu.«
Stachelmann schaute Zakowski ins Gesicht, ein großer Altersunterschied zwischen ihm und Griesbach ließ sich nicht erkennen. »Was war Griesbachs Aufgabe?«
»Schwer zu sagen. Die Aufgaben haben sich bei jedem Unternehmen von selbst ergeben. Da gab es die, die nicht in den Ostblock reisen konnten, Griesbach gehörte dazu. Also fiel er auch als Kurier aus. Er hat dann so was wie die Koordination gemacht. Checklisten führen, Kontakt zu Senatsstellen halten wegen der Ausweise, auch zur Druckerei …«
»Druckerei?«
Zakowski lachte. »Richtig, Druckerei. Wir nannten sie so. Das war eine kleine Lithografiewerkstatt in Zehlendorf, die haben die Visa nachgemacht. Das war so, vom Senat kriegten wir die Pässe für die Leute, Originalware, und die Typen in Zehlendorf haben die Visa reingestempelt, ungarische oder bulgarische meistens. Polnische und tschechoslowakische gab es auch, selten rumänische. Die Pässe oder Ausweise waren echt, die Stempel waren Weltklasse, eigentlich konnte nichts passieren. Aber es passierte doch immer wieder etwas.«
»Und die Behörden haben zugesehen, wie Papiere gefälscht wurden?«
»Richtig. Man brauchte politische Rückendeckung. Die kriegte man nicht von jedem, aber es fand sich immer jemand. Zuletzt hatten wir
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