Mit Blindheit Geschlagen
und wieder abschloss, wartete Stachelmann. Ihn verwirrten die Gänge und Türen des großen Baus. Dann standen sie in einem Gang mit vielen blaugrauen Türen an beiden Seiten. An den Türen erkannte Stachelmann Riegel und Schlösser. Über den Türen waren Leuchten angebracht, an einigen Zellen mehrere. Der Beamte ging zu einer Tür, zog einen großen Schlüssel aus dem Lederhalfter, das er am Gürtel trug, und schlug mit dem Schlüssel ans Schloss. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Als die Tür aufging, drehte der Beamte den Schlüssel nach rechts, die Schließzunge ragte heraus aus dem Schloss. »Gehen Sie hinein«, sagte der Beamte, als Stachelmann nicht weiterging.
Stachelmann schaute in die Zelle hinein. Als Erstes fiel ihm das Flackern des Fernsehgeräts auf, es stand auf einem Brett, das in Mannshöhe in einer Wandecke befestigt war. Es lief Werbung. Gegenüber sah Stachelmann ein Doppelstockbett, im Flackern des Fernsehers erkannte er ein Gesicht, dunkle Augen starrten ihn an. An der anderen Wand stand ein Schrank. Zwei Fenster mit Gitterstäben, durch die das Licht von Laternen in die Zelle fiel. Ein Fenster war gekippt. Eine Ecke war abgeschirmt mit einem Holzbrett. Stachelmann ging zwei Schritte, da wurde die Tür geschlossen, er hörte, wie das Schloss einrastete. Im Fernseher dröhnte Joghurt-Werbung. Der Mann kroch aus dem Bett. Er reichte Stachelmann die Hand. Der nahm sie und spürte klebrigen Schmutz. Er zog seine Hand ruckartig zurück.
»Ich fress dich nicht«, sagte der Mann. »Ich heiße Olaf.«
Stachelmann musste den Blick senken, der Mann reichte ihm bis zur Nase. Dafür war er fett, der Bauch spannte das T-Shirt. Er schaute Stachelmann an, als forderte er ihn auf, etwas zu tun. »Ich heiße Josef«, sagte Stachelmann.
»Das Bett oben gehört dir«, sagte Olaf. »Und deine Sachen kommen in den Schrank. Schieb meinen Kram zur Seite, dann passt das schon rein, nich?«
Stachelmann legte das Deckenbündel auf das obere Bett, dann öffnete er mit einer Hand den Schrank, mit der anderen legte er die Kleidungsstücke hinein. Nun dröhnte Werbung über Inkontinenzwindeln. Olaf gackerte wie ein Huhn. »Ich bin froh, wenn überhaupt was kommt«, rief er, »die Sorgen möcht ich haben, nich?« Er hatte einen norddeutschen Zungenschlag. »Warum sitzt du ein?« Er sprach laut, um das Fernsehgerät zu übertönen.
»Irrtum«, sagte Stachelmann.
Olaf gackerte. »Das ist ja mal was Neues. Und was werfen sie dir vor?«
»Mord«, sagte Stachelmann nach kurzem Zögern. Du musst mit diesem Kerl klarkommen, sonst wird das die Hölle.
»Alle Achtung!«, rief Olaf. »Respekt! Stell dir vor, ich soll eine Bank überfallen haben, in Norderstedt. Da gibt’s völlig unscharfe Videos, die zeigen irgendeinen Typen, und der soll ich sein. Stell dir das vor. Und dafür schmore ich schon sechs Wochen hier, nich?« Er setzte sich auf einen der beiden Stühle.
Sechs Wochen, dachte Stachelmann. Wie lange werde ich sitzen? Wie soll ich das aushalten?
»Bist wohl das erste Mal im Knast?«
Stachelmann nickte. Er setzte sich auf den anderen Stuhl.
»Ist mal was Neues, nich? Und was machst du, wenn du gerade mal nicht mordest?«
»Ich bin Geschichtsdozent.«
»Was biste?«
»Dozent. Ich unterrichte Geschichte an der Universität.« Stachelmann brüllte fast.
»Geschichten, davon kann man also auch leben, nich?«
»Vergangenheit!«
»Warum, die ist doch vorbei, nich?«
»Eben nicht«, sagte Stachelmann.
Olaf guckte ihn an, dann schüttelte er den Kopf. »Na ja, die ham ja Psychologen hier.« Er kratzte sich am Hals, dann bohrte er sich im Ohr. Er stand auf, ging zum Schrank und holte eine Tafel Schokolade. Die hielt er Stachelmann hin. Stachelmann hatte keinen Hunger, brach aber einen Riegel ab und aß ihn langsam. »Ob wir das Fernsehen ausschalten können?«
»Nee«, sagte Olaf. Er war empört. »Da kommt gleich ein ganz scharfer Streifen. Das musste sehen. Nackte Weiber ohne Ende.«
»Vielleicht ein bisschen leiser machen?«
Olaf schaute ihn misstrauisch an. »Mit mir läuft nichts, nich? Ist klar, nich?«
Stachelmann begriff nicht, was Olaf meinte. Er nickte.
»Dann ist gut«, sagte Olaf. Er fand auf dem Tisch unter Zeitschriften die Fernbedienung und drehte den Ton nur ein wenig leiser.
Stachelmann nahm die blauweiße Bettwäsche aus dem Bündel und bezog Decke und Kopfkissen. Er strich das Laken auf der Matratze glatt. Die war weich und verschlissen. Er legte sich in
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