Mit Blindheit Geschlagen
verstehen, wie wir auf die Idee kamen, Sie könnten etwas zu tun haben mit diesem Mord. Sie sind auch nur ein Opfer. Ob Sie es uns nachsehen?
Nein, dazu ist Ihnen zu viel Unrecht geschehen. Wir hätten Sie nie einsperren dürfen. Ein Triumphgefühl begann ihn zu erfassen.
Ein spitzer Schrei erschreckte ihn und holte ihn zurück in seine Zelle, im Fernsehgerät lief ein Krimi.
Die Schmerzen rissen ihn aus dem Schlaf. Es war ruhig, das Gerät war ausgeschaltet. Von draußen fiel weißes Licht durch die Fenster. Olaf schnarchte leise, dann röchelte er. Er wälzte sich im Bett, dann schlief er wieder ruhig. Stachelmann setzte sich auf und ließ die Beine baumeln. Die stählerne Kloschüssel schimmerte hinter dem Verschlag. Leise hangelte er sich vom Bett auf den Boden und ging zum Fenster. Er blickte auf einen drahtumzäunten Hof. Zwischen dem Zaun und dem Fenster eine schmale Wiese, sie war übersät mit Abfall, Dosen, Plastikflaschen, Brotscheiben. Ihm wurde kalt. Er ging wieder ins Bett und überlegte, ob er einen Beamten rufen sollte, damit dieser ihm eine Schmerztablette besorgte. Stachelmann ärgerte sich. Er hätte darauf bestehen sollen, dass man ihm die Tabletten ließ, wenigstens zwei oder drei. Der Schmerz griff nach Armen und Beinen, auch Handgelenke und Finger taten weh. Taubheit kroch die Beine hoch, ohne den Schmerz zu dämpfen. Ihm wurde heiß, dann kalt, dann wieder heiß. Schweißperlen traten auf die Stirn. Was hatte er getan, dass ihm das widerfuhr? Er fluchte leise vor sich hin. Dann fiel ihm ein, dass die Universität ihn entlassen würde, mindestens suspendieren. Auch wenn er am Ende befreit würde von allem Verdacht, etwas blieb an ihm kleben. Er musste mit Anne sprechen, sie würde ihm helfen, sie hatte Einfluss auf Bohming. Ihr würde er es nicht abschlagen, wenn sie ihn bat, Stachelmann nicht fallen zu lassen. Als er an Anne dachte, wurde er ruhiger. Er sehnte sich nach ihrer Nähe. Sie würde zu ihm halten, wer sonst?
Olaf wälzte sich wieder. Stachelmann fürchtete schon, er würde aufwachen und das Fernsehgerät wieder einschalten. Aber Olaf grunzte und schlief weiter.
Im Gang rasselte es. Stachelmann hörte leise Schritte, sie gingen vorbei an der Zellentür. Er legte sich wieder hin und zog die Decke bis ans Kinn. Wann würde er herauskommen aus dem Gefängnis? Olaf furzte. Bald stieg ein beißender Gestank nach oben.
Ein metallisches Klacken riss Stachelmann aus dem Halbschlaf. Die Gelenke waren wie eingerastet. Die Tür wurde aufgeschlossen, jemand sagte: »Guten Morgen, das Frühstück!« Stachelmann kletterte vorsichtig aus dem Bett und hätte doch beinahe Olaf getreten. »Pass auf!«, sagte Olaf.
Stachelmann holte aus dem Schrank den Blechteller und den Plastiknapf, die er am Abend im Deckenbündel gefunden hatte. Zwei Männer in Trainingsanzügen, offenbar ebenfalls Gefangene, standen an einem Wagen auf Rädern, der mit Schüsseln beladen war. Olaf ließ sich sieben Scheiben Graubrot, Butter und Marmelade geben, dazu füllte ihm einer der Essensausteiler Kaffee in den Plastiknapf. Dazu vier Stück Zucker. Stachelmann schaute zu, dann kam er an die Reihe. »Bist neu hier«, sagte der Mann. Es war keine Frage.
Stachelmann ließ sich eine Scheibe Brot, Butter und Marmelade geben. Er hielt den Plastiknapf vor und sagte:
»Tee.« Die schwarze Flüssigkeit roch nach Tee. Olaf schaltete das Fernsehgerät ein, setzte sich an den Tisch und begann zu schmatzen und zu schlürfen. Stachelmann nahm den freien Stuhl und versuchte, es nicht zu hören. Er hatte keinen Hunger, aber er fand es vernünftig, etwas zu essen. Es schmerzte ihn, Arme und Finger zu bewegen. Im Fernsehen lief Werbung für Sahnejoghurt.
Nach dem Frühstück wusch er sich im kleinen Becken neben dem Stahl-WC. Olaf saß am Tisch und popelte in den Zähnen. Er schaltete mit der Fernbedienung zwischen den Programmen hin und her. »Die richtig guten Sachen kommen in der Nacht«, sagte er. »Vorher gibt’s nur Plörre.«
»Dann mach die Kiste doch aus«, sagte Stachelmann und wischte sich einen Zahnpastarest aus dem Mundwinkel.
Olaf starrte Stachelmann an, als wäre der ein Marsmännchen. Er schüttelte den Kopf und schaltete weiter.
Den Vormittag verbrachte Stachelmann im Bett. Er versuchte zu dösen. Hoffentlich kommt Oppum bald, dachte er. Olaf guckte die soundsovielte Folge einer amerikanischen Familienserie. Es folgte eine Talkshow mit Leuten, die kaum einen geraden Satz herausbrachten. Sie ereiferten sich dumpf
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