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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Er legte einen Ordner auf den Tisch des Richters. »Hier ist das Protokoll der Aussage.«
    Einen Augenblick schwiegen alle, sie schienen die Bedeutung dieser Auskunft zu bewerten. Stachelmann sackte in sich zusammen. Er begriff, was die nahe liegende Interpretation der Tatsachen war. Oppum sagte: »Ich möchte kurz mit meinem Mandanten sprechen.«
    Der Richter warf einen Blick zum Staatsanwalt, der nickte und lächelte. »Bitte«, sagte der Richter. »Fünf Minuten.«
    Sie liefen ein paar Schritte nebeneinander auf dem Gang. Oppum sammelte sich, dann sagte er: »Das ist nicht gut. Stimmt das? Können wir das entkräften?«
    »Nein«, sagte Stachelmann leise. Der Kloß im Hals saß fest. »Ein Mal.«
    »Was heißt ein Mal?«
    »Ich habe ein Mal mit ihr geschlafen. Das war mein Kondom.«
    »Wann?«
    »In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch.«
    »Ich bin Ihr Anwalt, mir müssen Sie alles sagen. War da mehr?«
    »Was heißt mehr?«
    »Kannten Sie Griesbach besser, als Sie gesagt haben?«
    »Nein.«
    »Haben Sie irgendetwas zu tun mit seinem Tod?«
    »Nichts. Überhaupt nichts.«
    »Gut. Wenn Sie gleich die Wahrheit gesagt hätten, wäre es jetzt einfacher.«
    »Wenn ich gleich die Wahrheit gesagt hätte, hätte mir keiner geglaubt.«
    »Bereiten Sie sich darauf vor, dass der Richter einen Haftbefehl erlässt. Ich versuche mein Bestes.«
    »Danke«, sagte Stachelmann.
    Als sie wieder beim Richter waren, sagte der Anwalt:
    »Mein Mandant war in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch mit Frau Griesbach zusammen. Es kam zum Geschlechtsverkehr, das einzige Mal. Mein Mandant hat kein Verhältnis mit Frau Griesbach. Man nennt so etwas unter modernen Menschen einen One-Night-Stand.«
    »Und wie nennen altmodische Menschen das?«, fragte der Richter.
    »Beischlaf mit der Ehefrau des Opfers«, sagte der Staatsanwalt. »Wir haben es hier mit einer klassischen Konstellation zu tun. Die Ehefrau des Opfers geht ein Verhältnis mit einem anderen Mann ein, der Ehegatte wird zum Hindernis. Wir wissen nur noch nicht, welche Rolle die Ehefrau gespielt hat.«
    »Ich war auch schon mal im Kino, Herr Staatsanwalt«, sagte Oppum.
    »Meine Herren, beenden wir das. Es wird Untersuchungshaft angeordnet, auf Wiedersehen.«
    Als Stachelmann aufstand, fühlte er sich schwach. Viel zu schwach, um etwas zu sagen. Er wankte, dann hielt er sich an der Stuhllehne fest. Die Beweise sprachen gegen ihn. Aber sie sagten nicht die Wahrheit. Doch hatte er nichts in der Hand, um die Wahrheit zu beweisen.
    Oppum klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte: »Wenn Sie es nicht waren, wird Ihnen nichts passieren.«
    Nichts, dachte Stachelmann. Mir passiert gerade was.
    Ein Uniformierter legte ihm Handschellen an. Dann führten sie ihn aus dem Gebäude. Auf dem Hofstand ein Polizeitransporter. Ein Polizist schob die Seitentür auf, Stachelmann kletterte hinein und setzte sich auf die Bank. Ein Beamter setzte sich neben ihn. Ein zweiter fuhr den Wagen vom Hof. Sie fuhren durch die Stadt, Stachelmann erschien sie fremd, als hätten sich die Straßen, Fassaden und Menschen hinter den Scheiben des Polizeiautos verändert. Er war weit weg, gehörte nicht dazu. Die da draußen gingen essen oder ins Kino, amüsierten sich oder plagten sich mit ihren kleinen Sorgen, er kam ins Gefängnis. Der Schrecken ließ ihn verkrampfen. »Das ist gar nicht so schlimm«, sagte der Polizist neben ihm, nachdem er Stachelmann ins Gesicht geschaut hatte.
    Stachelmann wollte antworten, kriegte aber kein Wort heraus.
    Am Marliring bogen sie rechts ab. Also zum Lauerhof, dachte er. Von diesem Gefängnis war die Rede, wenn die Lübecker Nachrichten über Kriminalfälle oder Ausbrecher berichteten. Für manche war es berüchtigt wegen der Sozialabteilung, wo Sexualverbrecher therapiert wurden. Sie fuhren über einen Parkplatz zu einem blaugrauen Tor. Stachelmann las »Pforte 2«. Das Tor öffnete sich, sie standen in einer Schleuse, vorne und hinten gesichert durch Stahltore, an den Seiten durch einen blaugrauen Drahtzaun mit dicken Maschen. Als das erste Tor geschlossen war, öffnete sich das zweite. Sie hielten in einem Hof vor einer Tür. Die beiden Beamten führten Stachelmann durch die Tür, daneben ein Schild mit der Aufschrift »Vollzugsgeschäftsstelle«. Darin saßen ein Mann und eine Frau. Stachelmann sah Bildschirme und Tastaturen. Der eine Polizeibeamte legte einen Aktenordner auf den Tresen. »Zugang«, sagte er. Er schloss die Handschellen auf und steckte sie in seinen Gürtel.

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