Mit Blindheit Geschlagen
das Bett. Der Sexfilm hatte begonnen, zwei Frauen mit Siliconbrüsten verführten einen Mann. Stachelmann schaute hin, dann weg. Er starrte an die Decke. Die drei im Film stöhnten laut. Stachelmann drückte mit den Händen auf die Ohren, bis sie schmerzten.
Der Tag kam ihm unendlich lang vor und immer noch unwirklich. Dann schüttelte ihn ein Schluchzen, er drehte sich zur Wand. Die drei im Film stöhnten um die Wette, Olaf stöhnte mit. Stachelmann krümmte sich zusammen, das Schluchzen hörte nicht auf. Da packte ihn eine Hand an der Schulter. »Nun hör auf, du versaust mir den Film.«
Stachelmann drehte sich um. Olafs Kopf ragte über der Matratze, mit der Hand rüttelte er weiter an Stachelmanns Schulter, im Fernsehen kam Werbung für die Telekom. Stachelmann wurde ruhiger, die Hand auf der Schulter war stark. »Das ist für jeden Scheiße, nicht nur für Geschichtenerzähler. Aber deswegen brauchste nicht so ein Theater machen. So ein bisschen Knast hat noch keinem geschadet. Wo kann man sonst dreiundzwanzig Stunden glotzen? Und fürs Essen musste auch nichts bezahlen. Schlaf, morgen ist alles gut.«
Stachelmann schob die Hand weg. Olaf schüttelte den Kopf und kroch zurück in sein Bett. Dann stellte er den Fernseher lauter. »Wenn du aufhörst mit der Jaulerei, dreh ich leiser, nich?«, brüllte er.
Es klopfte ans Schloss, Stachelmann hörte, wie der Schlüssel sich drehte. Die Tür öffnete sich. »Nachtruhe, drehen Sie das Gerät leise, und schreien Sie nicht so!«
Der Fernseher wurde leiser. »Ist ja gut«, sagte Olaf. »Gute Nacht«, sagte der Beamte. Er schloss die Tür.
Stachelmann drehte sich auf den Rücken und versuchte sich zu konzentrieren. Was sollte er tun? Er musste bald mit Oppum sprechen. Wer hatte ihm die Leiche in den Kofferraum gelegt? Warum gerade ihm? Er hatte nichts zu tun mit Griesbach. Er kannte ihn nicht einmal. Hatte er es Ines zu verdanken, dass er eingesperrt war? Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass Ines keinen Ausweg mehr gesehen hatte. Natürlich war es ihr wichtiger, dass der Mörder ihres Mannes gefunden wurde, auch wenn die Ehe nicht mehr taufrisch gewesen war. Es verbindet die Leute doch oft mehr, als sie es sich eingestehen. Verglichen mit dem halben Leben, bedeutet die Nacht mit einem Fremden wenig. Stachelmann fühlte sich wie eine Fliege im Spinnennetz. Er konnte zappeln, so viel er wollte, er klebte fest. Und irgendwann würde die Spinne kommen und ihn fressen. Wer war die Spinne? In wessen Netz war er geraten? War es Zufall, war es Absicht?
Er hörte es tropfen. Olafs Kopf ragte über die Holzblende in der Ecke. Er saß auf dem Klo und starrte an die gegenüberliegende Wand. Im Flimmern des Fernsehers hatte er die Augen eines Irren.
Stachelmann schaute weg und fixierte einen schwarzen Fleck an der Decke. In der Ecke ertönte ein Gurgeln und pfeifen. Stachelmann dachte an den Holler-Fall. Vielleicht gab Maximilian Holler Stachelmann die Schuld am Tod seines Vaters. Stachelmann hatte Hermann Holler gestellt am Flughafen Fuhlsbüttel, und der hatte sich erschossen, als Polizisten sich näherten. Wenn der Sohn sich rächen wollte, würde er es vielleicht so machen, gewissermaßen um die Ecke, ein Spiel über Bande. Aber dafür gab es kein Indiz. Außerdem musste Maximilian Holler trotz aller Raffmesse damit rechnen, dass das Motiv die Polizei zu ihm führen würde.
Stachelmann suchte nach Anhaltspunkten in den vergangenen Jahren. Hatte er jemandem geschadet ohne Absicht? Es fiel ihm niemand ein. Er hatte nur sich selbst geschadet. Und Anne vielleicht.
Es stank nach Kot. Stachelmann unterdrückte den Brechreiz. Konzentriere dich. Die Wasserspülung zischte, im Fernsehen lachten Leute.
Er quälte sein Hirn, fand aber nichts, was ihm weiterhalf. Er wiederholte seine Berlinreise im Kopf. Wo wurde ihm die Leiche ins Auto gelegt? Irgendwann am Sonntag, nachdem er seine Reisetasche in den Kofferraum geworfen hatte. Hatte er den Kofferraum abgeschlossen? Gab es Spuren, die bewiesen, dass der Kofferraum aufgebrochen worden war? Fanden sich keine Spuren für einen Aufbruch, dann belastete es ihn umso mehr. Aber war es nicht so, dass man ihm eine Schuld nachweisen musste? Er musste gar nichts tun. Am Ende würden sie sich bei ihm entschuldigen. Er stellte sich vor, wie Wesendorn, Burg und dieser Staatsanwalt zerknirscht um Verzeihung baten. Es ist uns schrecklich unangenehm, Herr Dr. Stachelmann. Im Nachhinein können wir gar nicht mehr
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