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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Eine stand auf und wollte sich ihm nähern, wurde aber durch Musik von der Straße abgelenkt.
    Ein traurig dreinblickender Musiker kam herein. Er spielte auf einer kurzen Flöte eine Tarantella; seine Finger tanzten über die Luftlöcher. Ihm folgte ein Blinder, der auf einem Tamburin einen Sechsachteltakt schlug und heiser in einem Dialekt sang, den Caravaggio nicht verstand. Die Huren standen auf und tanzten. Sie hüpften auf einem Bein. Mit dem anderen Fuß schlugen sie den Takt und klapperten mit ihren Holzschuhen über den Fußboden. Die Hure, die sich Caravaggio genähert hatte, nahm seinen Arm. «Komm schon, du Hübscher.»
    Er hatte Mühe, ihr Gesicht zu erkennen. Der Wein hatte ihn schneller als erwartet benebelt. Das graue Licht im Fenster fiel auf ihren Zopf, den sie sich so, wie Lena es immer gemacht hatte, von Ohr zu Ohr um den Kopf gewickelt hatte. Sie war genauso groß wie sein Mädchen, und sie hatte auch Lenas volle griechische Augenbrauen. Bald würde er wieder mit Lena zusammen sein. Er würde eine Möglichkeit finden, sie in Rom zu treffen. Lachend leerte er seinen Becher, stand auf und tanzte.
    Sie bewegten sich, die Hände über dem Kopf erhoben, seitlich aneinander vorbei.
Lena
. Er trank noch einen Becher, in seinem Kopf drehte es sich.
Ich werde geliebt
. Die Hure hob ein Bein und schob es ihm zwischen seine Schenkel, hinters Knie, presste beim Tanzen ihre Lende an seine. Wenn sie lachte, rochihr Atem milchig nach Mozzarella. Er zog sein Knie zurück, um sie an sich zu drücken.
    Eine der Huren holte eine Triccheballacche heraus und zuckte mit den Handgelenken, sodass die kleinen Klöppel an den Scharnieren in Schwingung gerieten und über dem Rhythmus der Musik Holz auf Holz klapperte. Die Tänzer spreizten und drehten sich, als kämpften sie gegen das Gift der Tarantel an, wie es die Erfinder des Tanzes getan hatten. Caravaggio spürte, wie sein Körper sich von etwas reinigte, von dem er wusste, dass es ihn die ganze Zeit schon umgebracht hatte wie das Gift einer Spinne. Er warf den Kopf in den Nacken, rief Lenas Namen und brüllte vor Lachen. Die Hure goss Wein in sein Lächeln.
    ∗
    Fiebrig vom Wein und der Befreiung von Angst und Einsamkeit, zerfiel die Nacht in lauter unzusammenhängende Momente. Auf einer Bank spielte er mit einem spanischen Soldaten Würfel und geriet in Streit, als diese zu Boden fielen. Bei einer Partie Calabresella warf er die Karten hin, beschimpfte einen Fischer, ihm den Kelchbuben untergeschoben zu haben, und holte selbst einen Münzkönig aus dem Ärmel.
    Er aß eine Focaccia, die ihm so gut schmeckte, dass er dem Koch wegen des Rezepts mit völlig übertriebenen Lobhudeleien auf die Nerven ging, bis die Hure ihn wegzog. Dann lag er in ihrem übel riechenden Zimmer über der Taverne neben ihr, stöhnte und schrie und begrapschte ihre Brüste. Er schluchzte und nuschelte und wusste nicht, warum, als er sich an ihren Rücken schmiegte und einschlief.
    Als er erwachte, war sie nackt und zupfte an ihrem Haaransatz herum, um ihn so weit wie möglich von den Augenbrauen entfernt zu halten, was alle Frauen taten, die für schön gehalten werden wollten. Sie wandte sich von dem polierten Zinntellerab, der ihr als Spiegel diente, und lächelte. «Morgen, Hübscher», sagte sie.
    «Wie heißt du?» Sein Magen drehte sich um, als er nach seiner Unterhose griff.
    «Stella. Wenigstens hast du nicht gefragt, was du hier machst.»
    Das klackende Geräusch der Triccheballacche erklang immer noch. Er runzelte die Stirn und fragte sich, warum die Tarantella die ganze Nacht lang weiterging. Dann begriff er, dass er seine Kopfschmerzen hörte, die so heftig waren, dass sie ihm wie Erschütterungen vorkamen.
    «Nach
deinem
Namen muss ich nicht fragen», sagte die Frau. «Ich werde dich
O’ntufato
nennen.»
    «Ich verstehe deinen neapolitanischen Scheißdialekt nicht.»
    «Es bedeutet ‹der Wütende›. Gestern Nacht gingst du hoch und runter wie das Teil, das wir ‹Vater unserer Kinder› nennen.» Sie ahmte mit Gesten einen sich versteifenden und erschlaffenden und erneut anschwellenden Penis nach. «In einem Moment hast du von einem Burschen geschwärmt, als sei er dein Freund von Kindheit an, und im nächsten Moment hast du über ihn geflucht und wolltest ihm einen Becher an den Kopf werfen.»
    «O Gott. Das glaube ich nicht.» Er schob seine Beine in die Hose.
    «Gestern Abend waren ein paar raue Burschen in der Taverne. Du hast so viele beleidigt, dass du von Glück sagen

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