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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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schönen Ideen», sagte Baglione, «also muss er alles nach der Natur malen – jedenfalls nach einer Natur, wie er sie sieht.»
    Der Abt des Karmeliterklosters schob die Hände in die Ärmel seiner Soutane. «Keine schönen Ideen?»
    «Caravaggio bildet nur die oberflächliche Erscheinung der Dinge ab.» Baglione ließ seinen missbilligenden Blick über den
Tod Mariens
schweifen. «Mein lieber Vater Abt, was sollte beim Tod Unserer Mutter Maria gezeigt werden? Die Leiche einer Frau, deren Seele sie verlassen hat?»
    «Keineswegs. Sie sollte von Gnade erfüllt sein.»
    «Und warum?»
    «Weil sie zum Himmel auffährt, emporgehoben von einer Macht, jenseits von Leben und Tod.»
    «Ihr habt natürlich recht. Ihre glorreiche Aufnahme in die himmlischen Sphären.»
    «Obwohl man hinzufügen müsste, dass die Kirche bislang noch nicht darüber befunden hat, ob die Madonna zuvor starb oder ob sie ihre Himmelfahrt lebendig antrat.»
    Baglione blickte unzufrieden drein. Er berührte seine Schnurrbartspitzen.«Würden sich die Apostel denn um den Kadaver einer aufgequollenen Hure versammeln?»
    Der Abt wandte sich zum Seitenschiff der Kirche. Ein paar Dutzend Leute waren über den Fluss nach Trastevere gekommen, um das neue Kunstwerk in Santa Maria della Scala zu sehen. Es war erst vor einem Tag aufgehängt worden. Der Abt hielt es für ein höchst eindrucksvolles Bild, aber Maestro Baglione war anderer Meinung. Als sie den berühmten Maler erkannten, drängten sich die Zuschauer dichter heran, um seine Meinung zu hören. Selbst im Vergleich zu anderen Künstlern, in deren Gesellschaft der Abt sich manchmal begeben musste, um die Fresken und Statuen in seiner Kirche zu restaurieren, hielt er Baglione für eitel und aufgeblasen. Aber Baglione hatte Aufträge vom Vatikan bekommen. Wenn er ein Kunstwerk verdammte, konnte das zu Ärger mit den Gönnern des Klosters führen und die guten Taten seiner Mönche gefährden.
    «Ich bin kein Kunstexperte, Maestro Baglione.» Der Abt zögerte. Er durfte das Gemälde nicht einfach zurückweisen, weil das den Kardinalnepoten beleidigen konnte. Scipione hatte Caravaggio den Auftrag verschafft.
    Der Künstler zog die Augenbrauen hoch. «Fahrt fort.»
    «Eure theologischen Argumente sind auch zu bedenken.» Der Abt biss sich auf die Lippe.
    «In der Tat.» Baglione ging dichter an die Leinwand heran. Er zeigte auf die dunklen Stellen, die die Jungfrau umgaben. «Seht Ihr, wie Caravaggio all seine Fehler durch Schatten kaschiert?»
    «Fehler?»
    «Es gibt viele, hier, in den Einzelheiten.» Baglione stellte sich auf die Zehenspitzen, als hätte er soeben eine weitere Schwäche des Gemäldes entdeckt. «Das Modell ist, nebenbei bemerkt, ein Mädchen aus dem Ortaccio, und zwar seine –», Baglione senkte die Stimme, aber sein Gezischel war laut genug, um den hinterdem Abt stehenden Zuhörern einen schockierten Seufzer zu entlocken, «– seine Hure, eine gefallene Frau, mit der er nicht verheiratet ist, obwohl sie erst kürzlich ein Kind von ihm bekommen hat.»
    Der Abt stolperte über die Stufe neben dem Altar, als sei er gestoßen worden.
    «Einer unserer großen Theologen hat geschrieben, dass Hurerei dem Wohl der Allgemeinheit als Kloake dient, nicht wahr, lieber Vater Abt? Sie ist ein Abwasserkanal für niedere Instinkte, die ansonsten ehrenwerte Frauen beschmutzen würden.»
    «Ja, ja, ich kenne die Stelle von Aquinas.»
    Baglione bemerkte die Menge, die sich nun unter dem Gemälde versammelt hatte, und lud sie feierlich dazu ein, sich seiner gerechten Empörung anzuschließen. «Ich hätte nie gedacht, dass eine unserer heiligen Kirchen zum Sündenpfuhl werden könnte, in den eine solche Kloake ihren Schmutz ergießen darf.»
    Der Abt kratzte sich die dünnen Arme. Er hatte einen Häretiker in seine Kirche gelassen. Er hatte das Haus Gottes besudelt.
    Etwas stieß gegen seine Schulter und griff nach ihm. Er stöhnte. Kam bereits die göttliche Rache über ihn? Zitternd wandte er sich dem Altar und der Vergeltung zu. Aber es war nur Baglione, der ihn mit seiner behandschuhten Hand kniff.
    Der Abt stammelte: «Helft mir, Maestro Baglione.»
    ∗
    Del Monte parfümierte sich mit Ambra aus dem Magen eines Pottwals, um gegen den zu erwartenden Tavernengestank, den Caravaggio mitbringen würde, gewappnet zu sein. Er bedauerte, was er ihm mitzuteilen hatte. In jedem Zentimeter von
Tod Mariens
hatte er die gequälte Seele seines ehemaligen Schützlingsgesehen. Diese Heilige Mutter würde niemals

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