Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
öffnete sie die Augen und lächelte, als brauchte sie dafür ihre ganze Kraft, und schlief dann wieder ein. Als er begriff, dass er sich ihr Bild ins Gedächtnis einbrannte, um sie als seine tote Jungfrau malen zu können, starrte er seine Hände an und schluchzte, weil er wusste, dass seine Kunst die gleiche Einsamkeit von ihm verlangte, wie auch Gott es tat.
Lenas Mutter drückte ihm die Schulter. Er schüttelte sie ab und kam wieder hinter dem Vorhang hervor.
Der Junge auf Menicas Schoß streckte die Arme nach Caravaggio aus. Menica schaute zu ihm auf. «Domenico, willst du mit Onkel Michele spielen?»
Er ging zur Tür. «Ich bin bei Onorio», murmelte er.
∗
Menica ging mit Lena jenseits des Tiber in die Kirche Santa Maria della Scala, um sich den
Tod Mariens
anzuschauen. Obwohl sie den Ortaccio nur selten verließ, kannte sie den Weg durch die engen, armseligen Gassen Trasteveres. Im Kloster neben der Kirche leiteten die Karmeliter ein Haus für gefallene Frauen. Wenn deren Zuhälter in den Tavernen saßen, hatte Menica sich mit einigen geprügelten Huren hierhergeschlichen und sie in die Casa Pia gebracht. Sie selbst blieb aber nie da. Sie brauchte keine Ratschläge der Unbeschuhten Mönche. Sie hatte bereits Laster erlebt, die die Kirche erst noch verdammen musste.
Lena ging langsam. Vielleicht war sie immer noch von der Fehlgeburt geschwächt, aber Menica glaubte eher, dass das Mädchen sich davor fürchtete, Caravaggio zu begegnen. An diesem Morgen wollte er mit den Zimmerleuten in die Kirche kommen, um sein Gemälde aufzuhängen. Seit einem Monat hatte er mit ihr kaum mehr als einige Worte gewechselt.
An der Kirchentür wurden Lenas Augen feucht.
Michele bleiben noch ein paar Wochen, um die Sache ins Lot zu bringen
, dachte Menica,
sonst hört sie auf zu weinen und verhärtet sich
.
Die Zimmerleute hatten das Gestell für die Hängung aufgebaut: vier ungehobelte Planken über der vorgesehenen Stelle und drei Meter tiefer vier weitere Planken, um das Gemälde von unten zu stützen. Die Ecken waren leicht abgeschrägt, sodass die beiden Teile ein Oval bildeten. Unter Caravaggios Anleitunghoben die Arbeiter die Leinwand hoch. Seine Stimme hallte durch die Kirche.
Hier führt er das Kommando
. Sie blickte auf das schwankende Mädchen neben ihr.
Man sollte meinen, dass ein Mann, dessen Bilder so unüblich sind und der so viel Kraft zu haben scheint, dass er dazu in der Lage ist, seinen eigenen Weg zu gehen, anders als andere Männer ist. Aber die Bedürfnisse einer Frau verwirren ihn genauso wie den Rest seines Geschlechts.
Als sie sich der Leinwand näherten, schlug Lena sich die Hände vors Gesicht. Am unteren Bildrand lag die Leiche der Jungfrau ausgestreckt wie Lena, nachdem sie ihr Kind verloren hatte.
Caravaggio entdeckte die Frauen. Menica dachte, dass er sich wieder seinen Arbeitern zugewandt hätte, wäre Lena allein gekommen. Stattdessen ging er zögernd zu dem Mädchen, das in ihre Hände weinte. Er wippte vor ihnen auf den Fersen auf und ab, und die Verärgerung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Menica folgte Lenas Blick. Die jadegrüne Farbe des Todes lag auf dem Gesicht der Jungfrau.
Sie hat sich vorher nur als die friedvolle Loreto-Madonna gesehen. Mit dem hier hat sie nicht gerechnet.
«Das ist das Traurigste, was du je gemacht hast, Michele.»
Caravaggio sah das Gemälde an, als hätte sie eine Eigenschaft angesprochen, die ihm selbst bislang entgangen war.
«Ich glaube, es zeigt, dass du Lena immer noch magst», fügte Menica hinzu.
Ein verletztes Augenzwinkern verriet, dass er sich fragte, ob sie das bezweifelte. «Ich will es dir beweisen.» Er wollte Lena berühren, aber sie entzog sich ihm.
«Ich dachte, du wolltest mich tot malen.» Sie wischte sich die Augen mit dem Ärmel aus.
In ihrem Schluchzen hörte Menica auch ihre Wut.
Ich habe mich geirrt. Sie hat sich schon verhärtet
.
«Aber du zeigst mich in einem Zustand, der schlimmer als der Tod war.»
«Es ist – es ist die Jungfrau», stammelte Caravaggio. «Sie ist die Verkörperung der Liebe. Menica, erklär du es ihr.
Du
siehst es doch, nicht wahr?»
Menica strich Lena über den Rücken und schüttelte den Kopf. Sie verließen die Kirche.
Sie gingen um das Heim für gefallene Frauen herum zum Fluss. Als sie den Ponte Sisto überquerten und an den frierenden Waschfrauen vorbeikamen, die auf den Sandbänken Wäsche schrubbten, fröstelten sie und kehrten in den Ortaccio zurück.
∗
«Er hat selbst keine
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