Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
gehänselt hatte. Es schien keinen Weg zurück nach Hause zu geben – oder, wie er jetzt begriff, überhaupt kein Zuhause. In Mailand hatte er sich gefragt, ob Costanza ihn weggeschickt hatte, um den Jungen loszuwerden, den sie nicht länger in ihrem Haushalt dulden wollte. Er vermutete, dass sich hinter ihrer Wärme eine angeborene Verachtung für die unteren Klassen verbarg, für den Jungen, der ihren Liebling Fabrizio verdorben hatte. Wenn er zu viel Wein getrunken hatte, fühlte Michele sich in diesem Glauben bestärkt. Dann wurde er hilflos vor Wut und raufte und prügelte sich in Mailands Tavernen. Costanza hatte ihn nach Rom geschickt, um dem Ärger, den er in Mailand gemacht hatte, auszuweichen, aber das war ihm nur wie eine weitere Vertreibung vorgekommen und hatte ihn noch unberechenbarer gemacht.
Die Malerei schenkte ihm Erfüllung, machte ihm Freude und berührte ihn wie etwas Heiliges. Aber sein Rang als Maler war niedrig; er stand auf einer Stufe mit unausgebildeten Handwerkern. Immer wenn seine Selbstbeherrschung aussetzte, verwandelte sich das Gesicht des jeweiligen Mannes vor ihm in den missbilligenden Blick des Freskomeisters, für den sein künstlerisches Talent weniger wichtig war als seine niedere Herkunft, und dann musste Caravaggio die Gesichtszüge zerstören, die ihn an sein verlorenes Zuhause erinnerten.
Costanza zupfte an ihrem Pelz herum. «Dein Porträt des Heiligen Vaters wurde gut aufgenommen?»
«Ich bleibe in der Gunst des Kardinalnepoten. Das wiegt einen unzufriedenen Kunden auf.» Er berührte ihre Hand. Siebemerkte es kaum. Er hätte ihr gern von Lena und dem Kind erzählt, wollte ihre Sorgen aber nicht vertiefen. Seine Stimme zitterte vor Angst und Schuld über das Verschwiegene. «Ich bin immer noch Scipiones Maler. Im Lauf der Zeit wird sich mein Einfluss auf ihn noch verstärken. Seid versichert, dass er sich Fabrizios Fall durch den Kopf gehen lässt.»
Sie sah ihn mit leicht geöffnetem Mund an. Er spürte, dass sie wusste, was er empfand. Sie bemerkte stets die kleinsten Nuancen seiner Gefühle – als wäre seine Seele der Tau, der aus einem vermoosten Baumstamm dunstet.
Costanza bedeckte ihr Gesicht und flüsterte ein Gebet. Dann ergriff sie Caravaggios Hand. Sie führte ihn an den Rand des Gartens und hielt dort inne, um eine Grotte zu bewundern, eine Ansammlung klassischer Skulpturen, allesamt aus den antiken Bädern Diokletians ausgegraben. «Als ich hier zum letzten Mal mit Fabrizio war, gefiel ihm diese am besten.» Sie klopfte gegen die schweren Speckfalten, die sich um die Hüften eines beinlosen Poseidons legten.
«Fabrizio hat nie viel von Kunst verstanden. Diese Statue sieht aus, als würde der ganze Oberkörper über die Leistengegend absacken.»
Sie freute sich über seine Vertraulichkeit. «Das ist nun mal der heroische Stil.»
«So einen Körper hat keiner jemals gehabt. Jedenfalls niemand, der nicht auch hier, hier und hier fett gewesen wäre.» Er klopfte auf den muskulösen Bauch, die Brust und die Arme der Skulptur. «Michelangelo hat derlei übertrieben. Inzwischen ahmen andere Künstler die Fehler nach, die er bei seinen Figuren gemacht hat.»
«Aber er war trotzdem ein großer Künstler.»
Caravaggio stöhnte. «Der alte Trottel benutzte männliche Modelle für seine Frauenfiguren. Ich halte mich an Frauen, um Frauen zu gestalten.»
«Warum kopierst du nicht, was Michelangelo gemacht hat?»
Caravaggio sah ihr in die Augen. Sie hatte das Gefühl, dass sein Blick nach ihr verlangte. «Ich will wissen, wie Frauen aussehen, und nicht, wie ich mir ihr Aussehen wünsche.»
Sie betraten den Palazzo und gingen Arm in Arm zu den Winterwohnungen hinauf. Die Decken waren mit Fresken der Schlacht von Lepanto bedeckt. Costanzas Vater setzte den Fuß auf gefangene Türken. Sie blieb neben einem langen, roten Teppich stehen, der aus der Kabine des Flaggschiffes des türkischen Befehlshabers stammte. Er war mit weiten, siebenblättrigen, mäandernden Weinranken und zarten Knospen verziert. Caravaggio bückte sich und legte die Hand auf den Teppich. Er schien sich in seinen Erinnerungen zu verlieren.
«In dem Moment, in dem mein Vater diesen Teppich als Kriegsbeute für seinen Sieg beanspruchte», sagte Costanza, «wurdest du geboren, Michele. Mir kam es so vor, als wärst du ein Geschenk zur Erinnerung an die Ehre meiner Familie. Das bist du immer noch.»
Caravaggio hielt den Kopf gesenkt. Seine Hand strich über die klaren Muster des Teppichs. Er
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