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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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schwieg.
    Sie deutete die Zimmerflucht entlang. «Mein Vater bekam diesen Palazzo als Belohnung für seinen Sieg. Aber ich bin lieber die Frau, die dich in ihrem Hause aufgenommen hat, als das größte Haus in Rom geschenkt zu bekommen.»
    Er sah mit glasigem Blick zu ihr auf.
    «Wenn du die Frauen genau betrachtest, dann entdeckst du die Liebe in ihnen, Michele.» Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihm die Stirn. «Ich freue mich, dass du genau hinschaust.»
    ∗
    Als Caravaggio auf die Piazza dei Santi Apostoli hinaustrat, kamen die Wasserträger der Colonnas mit dem abendlichen Wasserbedarf des Palazzos vom Tiber zurück. Aus den Krügen schwappte kaltes Flusswasser über die Flanken der Esel und über die Beine der Männer. Der letzte klapperte so laut mit den Zähnen, dass Caravaggio zuerst dachte, es seien die Hufe des Esels auf den Pflastersteinen. Er trug eine Augenbinde. Caravaggio erkannte in ihm den Ringer, dem vor dem Palazzo vom Stallknecht der Farneses das Auge eingedrückt worden war. Der Mann trottete gebeugt und elend neben seinem Esel her. Der verlorene Kampf hatte ihm mehr als nur das Augenlicht genommen.
    Die Ehre, die Männern so lebenswichtig war, kam Caravaggio zerstörerisch vor.
Bei einer Frau findet man Liebe
. Costanzas Worte machten ihm plötzlich klar, dass Lena ihn brauchte. Dennoch zögerte er, weil er sich angesichts der hereinbrechenden Dämmerung unsicher war, ob er zu ihr gehen sollte. Seit sie das Kind verloren hatte, hatten sie kaum noch miteinander geredet. Alle Gefahren, mit denen sie konfrontiert war – die Feindschaft der Tomassonis, die Mühsal der Geburt –, gingen von ihm aus, und deshalb hatte er sich als ihr Beschützer zurückgezogen. Anstatt ihr beizustehen, war er mit Onorio durch die Tavernen gezogen. Musste es ihr da jetzt nicht so vorkommen, als käme er nur, um mit ihr ins Bett zu gehen?
    Sein Selbstvertrauen schwand. Er ging in die Taverna del Turco und setzte sich allein in die dunkelste Ecke. Der Wein durchströmte ihn wie eine widerliche Flut, die seine Gedanken von Lena ablenkte und seine Verbitterung verstärkte. Was hatte del Monte da gesagt?
Man hat Maestro Baglione sagen hören, dass Ihr Eure Fehler mit Schatten übertüncht
. Dieser Idiot. Erst Schatten ließen die Dinge klar hervortreten. Bei Tageslicht war das Gesicht eines Mannes voller Einzelheiten. Man konnte stundenlang darüber rätseln, was es einem zu sagen hatte, und dennoch nichtsverstehen. In der Dunkelheit einer Taverne entdeckte man nicht mehr als das böse Schimmern eines Auges oder ein plötzliches Zähneblecken. Die Schatten destillierten aus einem Mann den Kern seiner Bösartigkeit heraus – oder sein Leid, das all unser Mitleid verdiente.
    Kerzenlicht flackerte über die Gesichter der Tavernengäste. Manche beugten sich mutlos und müde über ihr Essen. Andere gossen sich mit manischer Fröhlichkeit Wein in die Kehlen. Schorf verschattete ihre Haut, und ihre eitrigen Augen glänzten.
Baglione weiß nicht, wovon er spricht
, dachte Caravaggio. Mängel ließen sich in der Dunkelheit ebenso wenig verstecken wie im vollen Tageslicht. Männer waren schwitzende, hustende Behältnisse für Dreck und Krankheiten, aber sie trugen auch etwas Ewiges in sich. Ein Künstler säuberte einen Körper nicht von seinen weltlichen Mängeln, um das darunter Liegende zu zeigen – vielmehr blickte er direkt in die Seele.
    Dann kehrte Lena zu ihm zurück. Sie schwebte durchs Kerzenlicht über den Tisch und zog sich wieder zurück, als sei sie ein Leichnam, der von den um die Anleger wirbelnden Strudeln der Flut im Tiber angeschwemmt wurde. Ihre Stimme seufzte wie die an die Ufer schlagenden Wasser.
    «Warum hast du ihr kein Mitleid entgegengebracht, du Arschloch?», schrie er und schlug sich gegen die Brust.
    In der Taverne breitete sich eine Welle ängstlichen Schweigens um ihn aus. Weil er nicht wusste, wie er mit ihr leben sollte, hatte er Lena als Tote gemalt.
Wäre sie tot, wäre ich eine tragische Gestalt und würde um meine unmögliche Liebe trauern. Stattdessen muss ich meiner Unfähigkeit, mit einer lebendigen Frau zu leben, ins Auge schauen
. Er redete wieder mit sich selbst, flüsterte aber diesmal. «Was weißt du von Mitleid?» Er ging zur Tür. «Kannst du ihr keins entgegenbringen?»
    Er stolperte die Via del Babuino hinauf. «Lena, Lena», murmelte er. Er hatte mehr getrunken, als er gedacht hatte. Er verfluchtesich selbst, nicht direkt vom Palazzo Colonna zu ihr gegangen zu

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