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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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der wichtigste Ort. Ein Künstler konnte sich mit den größten Meistern messen, deren Werke dort gezeigt wurden.
Zur Ehre Gottes?
, fragte sich Scipione.
Nun ja, warum nicht?
    «Ich glaube, die Bruderschaft wünscht eine Art Kopie von Maestro Leonardos Gemälde der Jungfrau mit dem Kind und der heiligen Anna. Es ist wohl überflüssig zu sagen, dass ich dergleichen
nicht
von Euch erwarte.»
    «Ich bin Eurer Durchlaucht zu alleruntertänigstem Dank verpflichtet.»
    Schon besser
, dachte Scipione.
Das klingt schon viel besser.
    ∗
    Der Junge rollte einen mit Erde gefüllten Lederball über den Fußboden. Caravaggio stieß ihn zu ihm zurück, aber ihm war nicht nach Spielen zumute. Unsicher beobachtete er Lena, versuchte, im Zwielicht des Hauses ihrer Mutter auf ihrem Gesicht zu lesen.
    «Ich hatte Angst, als du auf der Straße mit Steinen geworfen hast, Michele», sagte sie.
    Verbitterung überkam ihn wie ein kalter Hauch. Er hatte keine andere Wahl, als sie um Verzeihung für einen Kampf zu bitten, in dem er die beleidigte Partei gewesen war. Der Ball landete auf seinem Schoß. Er drückte ihn. «Es tut mir leid», murmelteer. Der Junge streckte die Hand aus, hob den Ball an einem Faden hoch und schwang ihn lachend unter seinem Kinn.
    «Du machst mir Angst, wenn du wütend bist. Dann zitterst du wie ein alter Mann.» Lena kaute auf den Handknöcheln.
    «Es ist eine Sache der Ehre, Lena.»
    Sie weinte. Er berührte mit zögernder Bewegung ihre Schulter, ließ die Hand dort liegen, und sie wehrte sich nicht dagegen.
    «Wie soll ich mich denn verhalten? Wie ein saft- und kraftloser Bauer? Ich bin ein Herr.
Besser
als ein Herr, weil ich über mehr Fähigkeiten verfüge, als nur ein Schwert zu führen. Und trotzdem springt der Adel mit mir um, als würde ich dafür bezahlt, den Hof zu kalken. Ich
muss
ernst genommen werden.»
    «Von Männern?»
    «Was wäre das Leben ohne ein Quäntchen Gefahr?» Er versuchte zu lachen, aber es klang stockend und bitter.
    «Ist die Welt, in der wir leben, nicht schon gefährlich genug?»
    «Ja, gefährlich. Aber Krankheit und Unfälle sind nur wie die Nahrung, die wir täglich essen. Gefahr, in die man sich freiwillig begibt, schmeckt wie ein Mahl erlesener Delikatessen.»
    Lenas haselnussbraune Augen musterten ihn. Er war sich sicher, dass sie die Hohlheit seiner Worte durchschaute. Er kam sich vor, als hätte er Onorio zitiert.
    «Das, was Männern Ehre verschafft, lässt andere immer leiden. Und am Ende leidest du dann selber. Ich habe Angst um dich, Michele.» Lena strich sich mit den Händen durchs Gesicht, als wischte sie sich den Staub des Tages ab. «Gestern Nacht gab es einen Kometen. Als er fiel, zeigte der Schweif auf die Festung des Heiligen Vaters. Alle sagen, das ist ein Vorzeichen für schlimme Zeiten.» In ihren Augen lag Bedauern. Ihre Aufrichtigkeit irritierte Caravaggio. Fillide und Menica hätten es nie zugelassen, ihren Liebeskummer so deutlich zu zeigen. Lena verbarg den ihren nicht.
    Ihm schien, dass er Lena ähnlicher war, als er gedacht hatte,weil ihm die Fähigkeit seiner Freunde aus dem Ortaccio abging, das zu verbergen, was sie wussten. Auf seinen Gemälden war alles da: die Toten, die er nach Straßenkämpfen zu Gesicht bekam, und die erbärmliche Furcht in den Augen seiner Selbstporträts. Er hob den Kopf und öffnete überrascht den Mund.
    «Was ist denn, Michele?», sagte Lena.
    Ein seltsames, mattes Lächeln. Lena war gefährlich, weil sie ihre Beschämung nicht wie Verbände, die nur verbargen, aber nicht heilten, über ein Pestgeschwür legte. Menica und Fillide oder die sanfte, tote Anna hätten das Ehrgefühl verstanden, das ihn dazu trieb, Baglione zu attackieren. Sie hätten ihn dafür vielleicht sogar bewundert. Lena sah darin nur etwas, das sich zwischen sie und ihn stellte.
    «Ich möchte dich noch einmal malen», sagte er.
    Sie schniefte und wischte sich die Nase mit dem Handgelenk ab.
    «Lena, ich habe den
Tod Mariens
so gemalt, weil ich es tief empfunden habe, als du dein Kind verloren hast.»
    Sie schüttelte den Kopf. Eine Frau trug ihre Narben unter ihrer Haut, nicht als sichtbares Mal einer Klinge, sondern wie die weiche Naht eines Kinderschädels, bevor sich der Knochen schließt – eine unsichtbare Verletzlichkeit, die sich nur durch zarte Erkundung entdecken ließ.
    «Ich habe dich gesehen, als du fast schon tot warst», sagte er. «Ich fühlte mich dafür verantwortlich, als dich die Frauen der Tomassonis angegriffen haben. Weil du

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