Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
er.
Aber angesichts dessen, was ich jetzt zu verlieren habe, lässt mich die Erinnerung daran zittern
. Er nickte seiner Leinwand zu. «Was hältst du davon?»
Er hatte Lenas Haare mit einem leichten Rotstich versehen, der ihm gar nicht aufgefallen war, als er sie als
Loreto-Madonna
gemalt hatte. Sie sah damit sanfter und weniger griechisch aus. Ihr Gesicht war offen und zart, verjüngte sich zum schmalen Kinn, das er so gern zwischen Daumen und Zeigefinger nahm. Die Haut um die Augenpartie war grau von der Erschöpfung durch harte Arbeit. Auch ihre Wangenknochen waren fast so dunkel wie Holzkohle. Obwohl sie nie über ihre Gesundheit klagte, fragte er sich, wie stark sie war.
«Ein Auftrag für den Petersdom, den Mittelpunkt der Christenheit.» Onorio ging vor der Leinwand auf und ab. «Wirklich angemessen, weil du dich wie ein Mönch aufführst, seit du mit Baglione und den Nachtwächtern zusammengerasselt bist.»
Caravaggio zuckte mit den Schultern.
«Aber gleichzeitig warst du dazu bereit, vor der kompletten Kirche die Hosen herunterzulassen.» Onorio zeigte auf die Fingernägel der Madonna. Sie starrten vor Schmutz. «Deine Arbeit ist erstaunlich. Ich kann geradezu die stinkende kleine Bruchbude riechen, in dem diese Bauern hausen. Aber was meinst du wohl, wie das den Kardinälen schmecken wird? Mit ihren parfümierten Bärten und einmal in der Woche frischer Bettwäsche?»
«Ich gehe davon aus, dass sie es erhebend finden.»
Onorio lachte und schüttelte den Kopf. «Komm, wir machen einen drauf. Vor der Piazza Colonna gibt’s ’ne Sauhatz.»
«Auch sehr erhebend. Aber nein danke.»
Caravaggio klappte die Fensterläden zurück und sah Onorio nach, wie er die schmale Straße zur Piazza dei Santi Apostoli hinunterging. Am Ende der Gasse gab es einen Menschenauflauf. Das erregte Stimmengewirr packte ihn, und beinahe hätte er seinem Freund nachgerufen, auf ihn zu warten. Auf der Piazza kletterten vier Männer mit gepanzerten Köpfen und Oberkörpern in den Ring. Ein mächtiger Keiler trampelte aus einer Falltür und taxierte die Männer. Einer von ihnen näherte sich ihm auf bloßen Füßen und schlug ihm seitlich gegen den Kopf. Die Menge grölte, als der Keiler zum Angriff überging.
Caravaggio schlang sich die Arme um die Brust. Er war allein mit seiner Arbeit, während die Männer dort unten durch Kameradschaftsgeist eins mit der Menge wurden. Seitdem die Dinge mit Fabrizio schiefgelaufen waren, hatte er sich von anderen ferngehalten. Er dachte an den Moment, in dem Costanzas Mann den Vorwurf der Sodomie zwischen Fabrizio und dem jungen Merisi gehört hatte. Er hatte verlangt, dass Fabrizio bestritt, in Lust und Sünde mit Michele verbunden zu sein. Aber Fabrizio hatte geschwiegen. Michele hatte begriffen, dass dies für den tobenden Mann zu viel sein und sein Freund enterbt werden würde. Er selbst war ohne Vater aufgewachsen, und er wollte es nicht zulassen, dass Fabrizio dieses Schicksal teilen musste. Also hatte er gesprochen. «Ich habe Fabrizio dazu verleitet», hatte er gesagt. Der Marchese hatte Fabrizio verprügelt, weil er sich darauf eingelassen hatte, aber Michele hatte gewusst, dass die Bestrafung ein Reinigungsritual war. Schon bald würde der Marchese so tun, als wäre Fabrizio unbefleckt – und Michele würde nicht mehr da sein.
Auf der Piazza warf der Keiler einen seiner gepanzerten Angreiferzu Boden. Die anderen schlugen das Tier in eine Ringecke zurück, während sich der gefallene Mann vom Boden aufrappelte.
∗
Nachdem seine
Madonna dei Palafrenieri
zwei Tage in der Basilika des Papstes gehangen hatte, erhielt Caravaggio eine Nachricht von Kardinal del Monte, dass das Bild wieder entfernt werden sollte. Er eilte über den Tiber und bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Osterpilger auf dem Petersplatz. Er umging das aufgehäufte Baumaterial für die Fertigstellung des Doms und betrat die größte Kirche Roms.
Er ging durch das Schiff zum Altar der heiligen Anna. Eine düster aussehende Gruppe von Männern stand vor seinem Gemälde. Er kannte sie als die Mitglieder der Fabbrica, des Komitees, das mit der Begutachtung der Werke betraut war, die für den Petersdom in Auftrag gegeben wurden – reiche Männer und Prälaten, von denen einige seine Patrone und Bewunderer waren. Sie begrüßten ihn so peinlich berührt, als wäre er ein lästiger Verwandter, der betrunken auf einer Beerdigung erscheint.
Del Monte fing ihn ab. Jemand sprach zu den anderen. Caravaggio
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