Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
stellte sich auf Zehenspitzen um zu sehen, wer es war. «Was zum Teufel macht denn Baglione hier?», sagte er.
Der Kardinal legte Caravaggio einen seiner parfümierten Finger vor den Mund.
«Er macht schon wieder meine Arbeit schlecht, nicht wahr?»
«Michele …»
Die Männer vermieden es, ihn anzusehen.
Sie kennen mein Werk, und sie haben mir gesagt, dass sie es lieben
, dachte er.
Was tun sie hier mit Baglione?
Sein Rivale stieg auf eine der Stufen vor dem Altar, sodass erdirekt vor dem Gemälde stand. Auf der Höhe seines Kopfes zertrat Lenas Fuß die Schlange.
«Meine Herren, was sollen wir mit dieser hässlichen Madonna anfangen?» Baglione erblickte Caravaggio und zuckte zusammen.
Del Monte legte eine Hand auf Caravaggios Ärmel und drückte fest zu.
«Sie ist nicht hässlich.» Caravaggios Stimme hallte durch die Basilika. «Sie hat das schönste Gesicht in aller Kunst.»
Baglione trommelte mit den Fingerknöcheln gegen die Leinwand. «Sie ist eine schmutzige, kleine Bäuerin. Für eine Hure aus dem Ortaccio mag ihr Gesicht angehen, aber ihr fehlt die Erhabenheit der Madonna.»
«Nicht einmal Christus hätte eine Mutter verdient, die so vollkommen ist wie sie», rief Caravaggio. «Wer eine schönere Jungfrau sehen will, der muss im Himmel suchen.»
Del Monte legte sich die Hand an die Stirn. Er atmete schwer und resigniert aus und sah Caravaggio mit seinen traurigen grauen Augen an. Die Männer der Fabbrica grummelten vor Empörung.
Was werden sie mit meinem Gemälde machen?
Bittend, entschuldigend und zugleich wütend wandte sich Caravaggio von del Monte ab.
«Ihr seid einer, der die Malerei ruiniert.» Baglione deklamierte wie ein Mann, der seinen Text auswendig gelernt hatte. «Ihr raubt der Kunst alle Erhabenheit, und Ihr zieht sie in den Schmutz der übelsten Viertel Roms. Seht Euch die heilige Anna an, die Mutter der Jungfrau. Ihr porträtiert sie als alte Vettel, als abstoßende Schlampe – in unserer heiligsten Kirche. Es ist eine Beleidigung für das Grab des heiligen Petrus, für das Haupt des heiligen Andreas und für alle anderen heiligen Reliquien.»
«Und Ihr nennt Euch einen Künstler?», schrie Caravaggio. «Ihr seid nicht einmal dazu in der Lage, meine Pigmente zu zermahlen.»
«Und Unser Herr selbst, nackt. Nackt! Was für eine ekelhafte Kloake Eure Fantasie doch ist, Merisi, dass sie ein solch respektloses Bild Unseres Heilands heraufbeschwört.»
Aus den Kleidern der reichen Herren dünsteten schwüle Parfümschwaden. Auf seinem eigenen Körper roch Caravaggio den Geruch von Schweiß und Schmutz und Wut. Was hatte er da eigentlich in ihre Kirche gebracht? War das die Liebe, die er gemalt zu haben glaubte? Oder hatte er die Empörung, für die Baglione ihn verantwortlich machte, tatsächlich selbst ausgelöst? In seinem Kopf gab es keine Ruhe, keine Möglichkeit zu überdenken, was er geschaffen hatte. Sein Gehirn drehte sich, und Verzweifelung pulsierte durch all seine Glieder. Das Schweigen der reichen Kenner schockierte ihn. Sahen sie denn nicht, was er beabsichtigt hatte?
«Dies Bild verdankt sich nicht meiner Fantasie», sagte er. «Nur meinen Augen. Ich habe gesehen, wie diese Frau mit den Füßen ihres Neffen auf ihren eigenen Füßen herumgegangen ist. Ein Spiel, versteht Ihr? Sie haben gelacht. Sie waren liebevoll zueinander. Glaubt Ihr etwa, die Jungfrau hätte ihren Sohn nicht geliebt?»
Del Monte schlug nun einen beschwichtigenden Ton an, der auf das Wohlwollen der Männer um ihn herum abzielte. «Diese Komposition, Maestro Caravaggio, verleiht der Liebe der Jungfrau eine körperliche Dimension.»
«Zwischen Mutter und Sohn.»
«Natürlich, aber dies ist nicht irgendeine Mutter mit ihrem Sohn. Es ist die Jungfrau mit Unserem Herrn.»
«Das ist das Gleiche.»
Kardinal Ascanio Colonna, der Vorsitzende der Fabbrica, bat mit erhobener Hand um Ruhe.
Der Bruder meiner Marchesa
, dachte Caravaggio.
Er wird mich unterstützen. Ich bin ein Mann der Colonnas.
«Als führendes Mitglied des Heiligen Officiums der Inquisition»,sagte Ascanio, «bin ich für die Einhaltung des Index Verbotener Bücher zuständig, der Liste unmoralischer Werke, deren theologische Irrtümer die Gläubigen verderben. Werke, die der Zerstörung anheimfallen müssen, wo immer man sie findet. Ihr könnt Euch glücklich schätzen, Maestro Caravaggio, dass der Heilige Vater noch nie solch einen Index für Gemälde gefordert hat.»
Caravaggio streckte den Arm aus, als wollte er del Montes Hand
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