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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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sie als seine Schwester aus. Nach maltesischer Sitte war sie in einen schwarzen Umhang gehüllt, der nur das Gesicht frei ließ. Ihre Augen waren tief mit langen Wimpern wie Insektenbeine.
    «Ein unbewaffneter Mann, Signor Giovanni», sagte sie sanft, aber vorwurfsvoll.
    Martelli betrat den Hof. Roero schob den Dolch in die Scheide zurück. Er warf Caravaggio einen verächtlichen Blick zu und ging zu dem Mädchen. Der Küchenjunge versperrte ihm den Weg, aber Roero stieß ihn beiseite. Mit dem rechten Arm holte er aus. Das Mädchen rührte sich nicht. Er schlug sie so heftig, dass ihn die Gewalt seines Schlags zwei Schritte nach links riss, bevor er wieder sein Gleichgewicht gewann. Das Mädchen stürzte zu Boden.
    «Du wagst es, mich beim Namen zu nennen, du Hure», sagte Roero.
    Das Mädchen wischte sich Blut von der Nase.
Sie sieht aus, als könnte sie noch mehr sagen
, dachte Caravaggio.
Ich schätze, es ist nicht das erste Mal, dass Roero sie berührt. Sie kennt schließlich seinen Vornamen, und ich bezweifle, dass seine Zärtlichkeiten sehr viel sanfter ausfallen als der Schlag, den er ihr versetzt hat.
    Roero stolzierte durchs Tor. Martelli drückte dem Küchenjungen eine Münze in die Hand. «Bring sie zum Apotheker.»
    «Komm, Carmena.» Der Junge half seiner Schwester auf die Beine und brachte sie weg.
    Martelli saugte an seinen Lippen. «Von jetzt an geht Ihr besser bewaffnet aus, Michele. Wie Ihr seht, hindert Ehre einen Ritter wie Roero nicht daran, einen unbewaffneten Mann anzugreifen. Ihr könnt Euch nicht darauf verlassen, dass seine Hure auch beim nächsten Mal dabei sein wird, um ihn zu beschämen.»
    Caravaggio stieg über die Treppe in sein Atelier und holte seinen Dolch aus der Truhe. Er dachte an die Erleichterung, die er empfunden hatte, als er im Oratorium den Brief des Großmeisters gelesen hatte.
Mir scheint, dass ich mich nur selber retten kann
, dachte er und schob sich den Dolch unter sein Wams.
    ∗
    Die Würfel rollten. Martelli schob seine Spielsteine ans äußerste Ende des Backgammonbretts; in der anderen Hand drehte er einen Rosenkranz aus Lapislazuli. Caravaggio griff zum Würfelbecher. Der alte Florentiner achtete nicht auf die Züge seines Gegenspielers. Im Lampenschein war sein Blick nach innen gerichtet, er wiederholte im Geiste jede Verwundung und jeden Kampf mit dem Feind, sah alle vergangenen Begegnungen mit Gott und die eine noch kommende. Caravaggio lächelte bitter.
Ich habe noch nie gegen jemanden gespielt, der so einfach zu betrügen war, und dennoch verspüre ich den Wunsch, ihn gewinnen zu lassen.
    Er stellte sich vor, dass Martelli sich an ein ähnliches Spiel bei einer einsamen Wache während der türkischen Belagerung der Insel erinnerte. Das war jetzt mehr als vierzig Jahre her, und Martelli musste damals in Caravaggios Alter gewesen sein.
Was hat er aus der Dunkelheit kommen sehen?
Er trank einen Becher Wein, während Martelli seinen Spielzug ausführte.
    «Ihr habt Euch beim Porträt des Großmeisters besonders viel Mühe mit seinem Gesicht gegeben, Maestro Caravaggio?»
    «Nicht mehr als mit jedem anderen Gegenstand auf der Leinwand, Signore.» Caravaggio konnte nicht umhin, die Erklärung vorzubringen, die typisch für einen echten Künstler ist, der jede Einzelheit seiner Arbeit gewürdigt wissen will.
    «Kommt schon, ich habe Euch in Eurem Atelier beobachtet. Ich habe gesehen, dass Ihr seine Augen stundenlang in verschiedenen Farbtönen umkreist habt. Ihr habt versucht, mehr zu erfassen als nur das Licht, das aufs Gesicht des Großmeisters fiel. Ihr suchtet nach einem inneren Licht.»
    «Sehen kann es jeder, Sire. Das Problem besteht darin, es abzubilden.»
    «Das Wesen eines Mannes?»
    «Das Wesen.»
    Martelli bewegte seine Spielsteine. Überrascht stellte Caravaggiofest, dass der Ritter sie schon fast vollständig ins Ziel gebracht hatte.
    «Als ich ein junger Ritter war, habe ich die schwierigsten Elemente des Schwertkampfes gelernt.» Martelli streckte die rechte Hand vor,
en garde
, obwohl er einen Rosenkranz und kein Rapier hielt. «
Cavazione
, die Bewegung der Klinge von einer Seite des gegnerischen Schwerts zur anderen. Stets in
misura larga
bleiben, in Distanz zum Ausfallschritt. Verteidigung gegen
mandritto squalembrato
mit
falso dritto
, um von rechts nach oben links schlagen zu können, wenn das Schwert des Gegners auf die eigene linke Kopfseite zielt, und dann sofort zum Gegenangriff übergehen.» Beim Sprechen ahmte er die Bewegungen

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