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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Lage gewesen wäre, die Hand an der Staffelei ruhig zu halten. Er ließ den Küchenjungen Pigmente durch dünnes Sackleinen sieben und ging in seinem Malerkittel auf die Straße. Er kam an der kastilischen Taverne vorbei und ging in den Garten, wo sich die Ritter im Schwertkampf übten.
    Jenseits des Hafens flatterte die Standarte des Ordens über den Festungsmauern. Das weiße Kreuz flimmerte auf seinemroten Grund. Er fragte sich, ob das die Stelle war, an der Martelli dem Türken in den Hals gebissen hatte.
    Die Bewegung der steifen Brise schien die Farben der Flagge zu vermischen. Es gab keine klaren Linien.
Wenn ich so malen würde, könnte ich eine Bewegung darstellen, ein Ereignis, das sich entfaltet
, dachte er.
Ich könnte das Leben an sich festhalten.
Das würde eine weniger präzise Pinselführung erfordern, weil er dann die Unfähigkeit des Auges, genau festzustellen, wo sich in der auffrischenden Brise die Flagge in jedem einzelnen Moment befand, nachahmen müsste. Sobald er das Bild auf der Standarte erfasste, löste es sich bereits wieder auf, flatterte vor und zurück, kräuselte sich wie die Wasserfläche des Hafens.
    Der Biss in den Hals
, dachte er,
statt der Umständlichkeit edler Schwertkunst
. Martelli hatte es einen nackten, ungeschminkten Kampf genannt. Caravaggio lächelte breit. Auf dem neuen Gemälde würde er kein Theater inszenieren. Alles würde den Betrachter in diesen einen, sich bewegt entfaltenden Augenblick des Märtyrertums hineinziehen. Caravaggio würde direkt aufs Blut zielen.
    Caravaggio lief an Our Lady of Victories vorbei zurück in die italienische Taverne. In der unteren linken Ecke seiner Leinwand, da würde er sie platzieren. Fast konnte er die Pinselstriche zählen, die er dafür brauchen würde. Jemand betrat hinter ihm das Atelier. Er wandte sich nicht um. Er war von der Szene, die er malen wollte, wie gebannt.
    De Ponte, der Diakon der Ritter, warf seinen Umhang ab. «Wer wird der heilige Johannes sein?»
    Der Küchenjunge setzte das Ockergelb ab, das er siebte. «Maestro Michele sagt, dass ich der Täufer sein soll.»
    De Ponte zog sein Messer und strich sich über die weiße Narbe, die seinen Bart durchzog. «Dann komm mal her, damit ich dich schlachten kann.» Er klopfte dem erschrockenen Jungen auf den Rücken und lachte. «Guck nicht so ängstlich, meinSohn. Ich soll als Henker posieren.» Der Junge zuckte zusammen und beschäftigte sich wieder mit den Farben.
    ∗
    Zwei Frauen, drei Männer. De Ponte als Henker, ein sizilianischer Ritter namens Giacomo als Kerkermeister. Der Küchenjunge war der Heilige, und seine Schwester war Salome, die den Kopf des Täufers in einer Schale auffing. Ihre Mutter mimte eine entsetzte Zuschauerin. Sie bewegten sich in ihren Posen, weil sie die von Caravaggio verlangte Reglosigkeit nicht gewohnt waren. Er versuchte sie zu überreden, die Muskeln zu lockern, aber die Szene missfiel ihm sowieso. Der Junge schaute himmelwärts, als befände er sich auf einem der schlecht gemachten Märtyrerbilder in der Galerie des Inquisitors. Die alte Frau erflehte mit erhobenen Armen Gottes Gnade wie eine Schauspielerin in einem altmodischen Moraldrama.
    «Noch mal von vorne.» Caravaggio ging zu ihnen. «Entspannt euch.»
    Sie schüttelten ihre schmerzenden Glieder aus.
    «Lasst uns die Geschichte vom Tod des Heiligen durchspielen. Beginnt mit der Ankunft Salomes und ihrer Dienerin.»
    Er ließ sie die ganze Szene durchgehen. Der Kerkermeister überbrachte das Todesurteil. Der Henker stieß den Heiligen auf die Knie, schwang das Schwert, um den Hals zu durchtrennen, und bückte sich, um mit dem Dolch den Kopf abzuschneiden. Um ihn aufzufangen, hielt Salome die Schale tiefer.
    «Noch einmal.» Caravaggio sah zu, wie sie den Ablauf dreimal wiederholten, und lenkte dabei ihre Reaktionen. Er redete auf sie ein, nach innen zu blicken, die Person, die sie darstellten, zu
sein
. «Es geschieht
hier
. Denkt nicht darüber nach. Spielt nicht das nach, was euch aus der Bibel vorgelesen wurde. Fühlt es einfach. Die Geschichte wird euch in sich aufnehmen.»
    De Ponte gelang es sofort, und er war es auch, der den Augenblick festhielt. Er schlug auf den Hals des Täufers, und Caravaggio überlegte, ob er diesen Moment darstellen sollte – die Lust am Töten. Dann bemerkte er auf de Pontes scharfen Gesichtszügen einen unerwarteten Anflug des Bedauerns.
Das ist meine Szene
, dachte er.
Wenn ich daran denke, wie ich Ranuccio getötet habe, erinnere ich mich

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