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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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bereit. «Beeilt Euch in Christi Namen», zischte er.
    Die Sklaven setzten sich an die Ruder. Der Seemann stieß das Boot ab und ergriff das Steuer. Caravaggio reckte sich in Richtung Festungsmauer, um einen Blick auf Costanzas Sohn zu erhaschen.
    Innerhalb einer Stunde waren die Lichter Maltas und alle Ritter und die Bilder, die er dort gemalt hatte, hinterm Horizont versunken.

III
SIZILIEN und NEAPEL
Das Haupt des Goliath

1608

8
Geißelung Christi

    In der Dämmerung Palermos war er allein. Erstes Licht glitzerte auf den Drahtstiften, mit denen die Leinwand auf dem Rahmen befestigt war. Aber niemand sah die Sonne über sein Gesicht gleiten.
    Wie ein Mann, der von einem unbemerkt anschleichenden Angreifer von hinten niedergestreckt worden war, lag er voll bekleidet und mit ausgestreckten Armen auf dem Bauch. In der Hitze der Sommernacht hatte er geschwitzt, angezogen, bewaffnet und fluchtbereit für den Fall, dass sein Mörder käme. In den Schatten bewegten sich Formen, die er mit angehaltenem Atem beobachtete. Die Fensterläden knarrten, als sich das Holz in der Hitze erster Sonnenstrahlen ausdehnte. Jedes Knacken und Schaben ließ sein Herz pochen.
    Vielleicht würden seine Mörder heute kommen.
Für ihre Gesellschaft wäre ich fast dankbar.
    Er stellte sich die Märtyrer in der Morgendämmerung ihres Martyriums vor. Sie hatten einen Trost, der ihm fremd war. Sie waren sich des Schicksals ihrer Seelen gewiss. Aber wenn er sich ihren Tod ausmalte, sah er nur die Körper, die sie zurückließen. Hingeschlachtetes, ausgeblutetes Fleisch.
    Er beugte sich über das Tablett mit den Farbpigmenten. «Guten Morgen, meine einzigen Freunde», murmelte er. Der bei Siena gegrabene Lehm war mit Eisen angereichert und ergab ein gelbbraunes Öl oder wurde in einem Ofen zu dem Rotbraun gebrannt, das er gern benutzte. Sankt-Johannes-Weiß, hergestelltaus Ätzkalk von florentinischen Mönchen. Grüne Erde, abgebaut bei Verona. Und das teuerste Ultramarinblau, aus Lapislazuli gemahlen, das aus Minen im Land der Khane jenseits von Persien stammte – er berührte sie alle. Sie wirkten wie kühlende Salbe auf einer Wunde.
    Er ging über die Treppe in die Küche hinunter. Ein alter Franziskanermönch setzte ihm eine Schale mit dünner Kohlsuppe vor. «Macht unsere
Geburt Christi
Fortschritte, Maestro Michele?»
    «Fast fertig.» Caravaggio hatte das Bild vor zwei Tagen vollendet. Er trödelte immer noch damit herum, weil er sich davor fürchtete, sein Atelier zu verlassen.
    «Gott segne Euch, Maestro. Wo wollt Ihr hingehen, wenn es vollendet ist?»
    In der Suppe schwamm nur wenig klein geschnittener Kohl. Er bemerkte eine in der Brühe dümpelnde Bohnenschale, aber als er mit dem Löffel durch die Suppe strich, fand er von der Bohne keine Spur. «Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, Bruder Benedetto.»
    Nur bei der Arbeit hatte er nicht das Gefühl, immer tiefer zu sinken. Er versuchte, nicht an die Zukunft zu denken, weil er um die Gefahren und Beschwernisse wusste, denen er ausgesetzt war. Dem Mönch konnte er das kaum erklären. Die Franziskaner verlangten von den Armen Kasteiung des Fleisches. Soweit er wusste, hatte Bruder Benedetto die Bohne geschält und dann weggeworfen, als er die Suppe kochte. «Wohin ich auch gehen werde, Bruder, wird mir Eure Kochkunst fehlen. Wo sonst werde ich derartig opulente Delikatessen finden?»
    Benedetto lachte. «Ihr seid schon ein schräger Vogel, Maestro Michele.» Er stützte sich auf das Messer, mit dem er einen Brotlaib aus billigem Dinkelmehl aufschnitt. Wenn es sogar für einen Armen zu trocken war, um es noch in den Haferschleim zu tunken, schenkten die Bäckereien das Brot den Franziskanern.«Bruder Camillo sagt, Ihr hättet ihn neulich beschimpft, weil er Euch empfohlen hat, Eure Kleider zu waschen.»
    Caravaggio schlürfte seine Suppe.
    «Ihr habt zu ihm gesagt,
sie
könnten kommen, um Euch zu holen, wenn ihr nackt seid. Wer sind
sie
, Maestro?»
    «Gastwirte, die wollen, dass ich für sie Eure köstlichen Rezepte stehle.»
    Er schlurfte über die Treppe nach oben in sein Atelier. Er hatte die
Geburt Christi mit den heiligen Franziskus und Lorenz
für das Oratorium von San Lorenzo gemalt und versucht, der Jungfrau Lenas Gesicht zu geben. Aber als er sie darstellen wollte, wie sie das nackte Kind auf dem Stroh ansah, hatte er sich nicht die Vorstellung ihres bleichen, verschwitzten, leidenden Gesichts nach dem Verlust ihres Kindes aus dem Kopf schlagen können. Stattdessen hatte

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