Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
Vom Netzwerk:
er die Gesichtszüge des maltesischen Mädchens aus der
Enthauptung
gemalt.
    Während seiner seltenen Besuche in Palermo hatte ihn das Misstrauen völlig erschöpft. Jede Tür, durch die er ging, und jeder Satz, der ihm über die Lippen kam, schien eine Falle zu sein, ein Zeichen, durch das er sich verraten, sich seinen Mördern zu erkennen geben konnte. Er glaubte, auf der Straße einen der Brüder Tomassoni gesehen zu haben. Er verfolgte den Mann, konnte ihn aber nicht einholen. Und als er meinte, vor dem Palast des spanischen Vizekönigs Roero erkannt zu haben, floh er. Während er davonlief, fragte er sich, ob er den Verstand verloren hatte.
Es ist einerlei. Sie werden mich auch erwischen, wenn ich wahnsinnig bin
.
    Gegen Mittag glaubte er, dass sogar die Bohnenschote ein Trugbild und die Suppe nichts als verfärbtes Wasser gewesen war. Er berührte durch den Bart seine Gesichtsknochen und stellte fest, dass sie hervortraten. Als er das Hemd hob, um nachzuschauen, drückten auch seine Rippen gegen die Haut. Der Hunger war stärker als seine Angst.
    Er ging auf die Straße in Richtung des Palazzo dei Normanni, um eine Taverne zu suchen. Nach all den Tagen in der Dunkelheit des Klosters schien die Sonne durch seinen Schädel zu dringen. Ihm wurde schwindelig, und er lehnte sich vor einem Pastetenladen an die Wand. Ihm wurde schwarz vor Augen, alles war dunkel. Der Duft der frisch gebackenen Pasteten ließ ihn verzweifeln und schwach werden. Als er wieder sehen konnte, waren die Farben hell und flach wie die ersten Ölfarben auf einem Gemälde, bevor sie abschattiert wurden.
    Ein Hund flitzte mit einer Wurst im Maul aus dem Pastetenladen. Der Pastetenbäcker verfolgte ihn fluchend. Ein Blick auf Caravaggio – und er verstummte. Er räusperte sich und ging in seinen Laden zurück. Eine Frau ging mit einem Korb und abgewandtem Blick vorbei. Caravaggio blinzelte die Straße entlang. Lächelnde Menschen erstarrten beim Anblick seines Gesichts.
Was sehen sie?
, fragte er sich.
Sie sind angeekelt. Als sähen sie eine verletzte Katze, die von einem Wagen überrollt wird. Sie wissen um mein Schicksal, und sie wollen nicht darüber nachdenken
.
    Er folgte dem Pastetenbäcker in den Laden, legte eine Münze auf den Tresen, nahm sich eine gefüllte Focaccia und stopfte sich das Essen in den Mund. Seine Zunge bewegte sich zwischen den weichen Streifen aus Kalbsmilz und Lunge und Kehlknorpeln. Aus dem Eingang des Pastetenladens sah er über die Straße mit den vorbeiziehenden Karren und Menschenmassen. Er erblickte einen Mann im roten Mantel der Malteserritter.
    Roero sah zum Gebäude der Franziskaner. Der Ritter kniff seine hervorstehenden Augen zusammen, überquerte die Straße und betrat das Oratorium.
    Caravaggio spuckte den Brot- und Fleischbrei aus und rannte in den Hof der Franziskaner. In seinem Atelier griff er zu einem kleinen Sack und warf seinePinsel und die noch ungemahlenen Pigmente hinein. Er band sich den Degen um und nahm seinen Geldgürtel aus dem verschlossenen Kasten aus geprägtem spanischen Leder, in dem er ihn verwahrt hatte.
    Er sprang die Treppe hinab und rannte zum Tor hinaus. An der Ecke beobachtete er Roero, der das Oratorium verließ und über die Treppe zu seinem Atelier stieg. Dankbar für den Hunger, der ihn nach draußen getrieben hatte, flüsterte er ein Dankgebet für Bruder Benedettos dünne Brühe.
    Das Schiff, das als nächstes den Hafen verließ, war eine Kaufmannsgaleere mit dem Ziel Neapel. An Bord hockte er sich hinter ein Fass und schaute sich nach Roero um. Die Seeleute machten einen Bogen um ihn, während sie das Schiff zum Auslaufen klarmachten. Möwen umkreisten das Deck, bis sie schließlich der untergehenden Sonne folgten. Das Schiff stach in See.
    ∗
    Der Palast des Prinzen von Stigliano am Stadtrand von Neapel überblickte Chiaia und die Ellipse der Bucht bis hin zu den Grotten von Posilippo. Während der vergangenen Jahre war die Marchesa von Caravaggio hier bei ihrem Cousin, dem Prinzen, untergekommen, wenn sie sich um Besitzverhältnisse und Erbschaftsangelegenheiten im Bereich der Stadt kümmerte. Costanza Colonna saß auf einer Steinbank neben dem Gartenbrunnen, während Caravaggio ihre Reaktion erwartete. Sie schnippte mit den Fingern gegen zwei Briefe auf ihrem Schoß. Ihre Fingernägel waren blass und grau. Etwas in den Briefen beunruhigte sie.
    «Der spanische Vizekönig hat von deiner Ankunft in Neapel gehört.» Costanza räusperte sich. «Er befiehlt dir,

Weitere Kostenlose Bücher