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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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einzustecken. Sie bewegten sich wie Katzen – ein paar schnelle Schritte, und dann suchten sie bereits nach dem nächsten sicheren Platz, huschten dorthin und erwarteten die kommenden Bedrohungen.
    Ich bin ein Mörder
, dachte Caravaggio,
aber ich dürfte auch weit und breit der unschuldigste Mensch sein
. Er berührte den Brief in seinem Wams. Sogleich wusste er, wo er ihn lesen würde.
    Er ging in den ältesten Teil der Stadt. Seit seiner Rückkehr nach Neapel hatte er noch nicht die Kirche aufgesucht, in der das großartigste seiner Werke hing. Er ging durch die schmalen Gassen, parallele Häuserblocks, wie sie von den ersten griechischen Siedlern angelegt worden waren, und überquerte die Spaccanapoli, die die Stadt wie eine lange, gerade Narbe in zwei Teile schnitt.
    Vor den Tavernen hoben Neapolitaner große Portionen Makkaroni von ihren Tellern und schoben sie sichin den Mund, legten dabei den Kopf in den Nacken, als füllten sie sich das Essen wie Schwertfresser direkt durch den Schlund in den Magen. Das Klagen der
Zampogna
durchschnitt den Lärm der Menge, eine schrille Melodie und ein tiefes Dudelsackdröhnen, das in seinem Brustkorb Echos zu werfen schien.
    Vor dem Altar der Chiesa Pio Monte zwängte er sich in eine Bank. Lena schaute mitleidvoll auf ihn herab. In
Die sieben Werke der Barmherzigkeit
war sie die Jungfrau, die er gemalt hatte, als wachte sie über das Menschengedränge in den Straßen Neapels. Er entfaltete den Brief und las.
    Liebster Michele
,
    ich schreibe Dir durch die Hand Deines Freundes Prospero Orsini. Ich sage das, damit Du dem, was ich Dir erzähle, glauben kannst, und Du darfst nicht denken, dass jemand anderes als ich die Wort spricht, die Du liest. Prosperino wünscht Dir alles Gute, während er nun meine Worte aufschreibt.
    Ich habe mich lange Zeit nicht getraut, mit Dir in Verbindung zu treten. Ich glaubte, Du wolltest mich nicht. Eines Tages warst Du verschwunden, und obwohl Prosperino mir sagte, dass Du geflohen bist, weil Du Signor Ranuccio getötet hast, wusste ich, dass Du zum Fortgehen bereit warst, aus welchem Grund auch immer. Ich will damit nicht sagen, dass Du Signor Ranuccio getötet hast, um eine Entschuldigung zu haben, mich zu verlassen, aber ich will doch sagen, dass es Dir nicht schwerfiel, zu gehen.
    Als ich diese Woche im Palazzo Madama gearbeitet habe, hörte ich von den Herren Kardinal del Montes, dass Du aus Malta in die italienischen Lande zurückgekehrt bist. Vielleicht willst Du nichts mehr von mir wissen. In dem Fall vernichte diesen Brief. Ich muss Dir aber sagen, dass ich mir wünschte, du wärest nicht fortgegangen, und ich wünsche mir, Dich nachts zu umarmen – Prosperino tut so, als würde er rot, und ich werde auch rot, weil ich nie eine liederliche Frau war, und ich bin es während Deiner Abwesenheit auch nicht geworden.
    Ich liebe Dich, Michele. Wenn Deine Reisen Dir klargemacht haben,dass ich Deine Liebe bin und dass es ein Fehler war, mich in Rom zurückzulassen, dann komm wieder zu mir.
    Ich kann nicht weg aus Rom, sonst würde ich kommen und Dich finden, obwohl die Straße nach Neapel wegen all der Banditen gefährlich ist. Ich muss mich um Domenico kümmern, der Fieber hat, und um meine Mutter, die blind geworden ist und die linke Seite ihres Körpers nicht mehr bewegen kann.
    Um meine eigene Gesundheit steht es auch nicht gut, Amore. Meine Arbeit ist schwer, weil ich auf der Piazza Navona mit meinem Gemüse stehen muss, und dann beschimpfen und schlagen mich dort manchmal die Frauen der Tomassoni. Aber Kardinal del Montes Hofmarschall gibt mir leichte Arbeit, weil er Dich schätzt, und das lässt mich hoffen, dass zumindest der Kardinal glaubt, dass Du mich liebst.
    Komm zu mir, Amore. – Schneid keine Grimassen, Prosperino. – Wenn Du mich vergessen hast, Michele, schreib mir nicht, um mir das zu sagen. Komm dann aber auch nicht nach Rom zurück. Ich wäre dann nicht mehr bei Dir und ohne Dich.
    Ich gehe oft in die Kirche Sant’Agostino und stehe vor der Loreto-Madonna. Du hattest recht: für Maestro Raffaels Fresko interessiert sich jetzt niemand mehr. Die Leute kommen nur wegen Deines Bildes. Obwohl ich viele Stunden davorgestanden habe, ist noch niemand stehen geblieben und hat mir gesagt, dass ich wie die Madonna aussehe. Vielleicht ist mein Gesicht zu müde, oder die letzten paar Jahre waren nicht so gut zu mir. Aber ich denke an die Zeit, als Du mich gemalt hast und mir das fertige Gemälde gezeigt hast und mich in Dein Bett

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