Mit dem falschen Bruder im Bett
nachdem sie ihre Brille zurechtgerückt hatte, löffelte sie selbst ihr Lieblingseis Chunky Monkey. Seit genau sieben Tagen erlaubte sie sich diesen himmlischen Genuss. Als die kalte Süßigkeit ihre Zunge berührte, schloss sie ihre Augen vor lauter Wonne. „Hmmm“, schnurrte sie. „Ich liebe diese nächtlichen Mädchenzusammenkünfte!“
„Das kannst du laut sagen.“ Die sanfte, aber leidenschaftliche Erwiderung kam von Grace Sinclair, die auf dem Stuhl neben Melina saß. Melina hielt ihr ihren Löffel hin, und Grace tupfte mit ihrem eigenen zart dagegen. Als Staatsanwältin und Geisteswissenschaftlerin für klassische Literatur hatte sie an der Universität Karriere gemacht und strahlte Klasse sowie heitere Gelassenheit aus. Während Lucy auf Cherry Garcia – Kirscheis mit Kirschen und Zuckergussflocken – stand, liebte Grace die Crème Brulée von Ben & Jerry – süßes Eiercreme-Eis mit karamellisiertem Zucker. Blond, gertenschlank und eine Haut wie Porzellan, das war Grace, die mit einem ganz leichten Südstaatenakzent sprach. „Alles was wir jetzt noch brauchen ist ein Film mit Viggo Mortensen, und schon wäre ich halbwegs im Himmel.“
„Das hast du doch bereits probiert, erinnerst du dich? Doch sogar mit Viggos Stimme im Hintergrund bist du nicht abgehoben.“
Grace warf Lucy einen vorwurfsvollen Blick zu, während sie mit ihrem Löffel herumfuchtelte. „Du darfst jetzt nicht Viggo die Schuld daran geben. Ich konnte ihn kaum hören wegen all der grunzenden Geräusche, die Philip machte.“
Grace rümpfte die Nase. „Ich schwöre, der Mann hatte beste Tischmanieren, aber im Bett …“ Sie täuschte ein Schaudern vor.
Melina kicherte, als Lucy auf die Zeitschrift schlug, die sie zuvor gelesen hatte.
„Im Ernst “, beharrte Luca, „es bedeutet nicht, dass Frauen sich begehrt fühlen wollen. Es bedeutet, dass sie auf Fantasien bauen anstatt sich am Anfang einer Beziehung darauf zu konzentrieren, was sie wirklich wollen. Und das ist genau das, was du machst, Melina.“
Seufzend zwang sich Melina zu einem Lächeln. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war eine weitere Diskussion mit Lucy über Professor Jamie Whitcomb. Obwohl Lucy ihre Sommersprossen puderte, die sie immer noch eher wie eine ihrer Studentinnen aussehen ließen und nicht wie eine Professorin in Amt und Würden, war sie leider wie eine Bulldogge, wenn es darauf ankam, ihre Freundinnen zu beschützen – notfalls vor sich selbst. „Und worauf genau soll ich mich konzentrieren?“, fragte Melina.
„Leidenschaft“, feuerte Lucy zurück.
Natürlich. Leidenschaft. Lucys Lieblingswort. „Und mit Leidenschaft meinst du …“
„Reine, animalische Lust. Von der Art, die dich dazu bringt, sich gegenseitig die Kleidung vom Leib zu reißen und es an einen Baum gelehnt zu tun, wenn es sein muss. Die Art von Leidenschaft, die du für Jamie nicht empfindest.“
Diese Art Leidenschaft hatte sie noch niemals für einen Mann empfunden, dachte Melina. Für keinen Mann außer für Rhys, hieß das. Aber wenn sie an Rhys dachte, machte sie das nur traurig, und traurig zu sein, während sie Ben§ Jerrys Eis aß, war einfach falsch. „Ach“, stöhnte sie nur und versuchte, nicht allzu bitter zu klingen. „Du meinst die Art von gegenseitiger Leidenschaft, die zu Liebe und lebenslangem Glück führt, und die ungefähr genauso real ist wie Einhörner oder fliegende Drachen.“
„Seltenheit ist nicht dasselbe wie Fantasie“, rief Lucy aus. Mit rot erhitztem Gesicht stand sie auf und gestikulierte wild mit ihren Händen. „Das ist den Frauen heutzutage so beigebracht worden: Dass Leidenschaft, wahre Liebe und Freundschaft, alles auf einmal unmöglich zu haben ist. Und deshalb begnügen sie sich.“
„Lucy hat schon Recht“, gab Grace zu. „Leidenschaft muss ein fundamentales weibliches Bedürfnis sein. Oder warum sonst würde sich ein so hoher Prozentsatz der Frauen danach sehnen?“
„Vielleicht“, sagte Melina und versuchte die Stimme der Vernunft darzustellen, „weil 98,9 Prozent der Jungs nicht der Wirf-die-Frau-auf-den-Boden-Typ sind.“ Automatisch bewegten sich ihre Augen zu den Fotos von Max und Rhys, die bei ihr auf dem Regal standen. Sie hatte das Gefühl, dass die beiden die Ausnahme wären, aber sie stellten nicht gerade den genauen männlichen Durchschnittstypen dar. „Frauen wollen Leidenschaft, aber wenn sie nicht in der wahren Natur des Mannes liegt, sie ihr zu geben, was hat es dann für einen Zweck, sie sich zu
Weitere Kostenlose Bücher