Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
Radinger, Rütten & Loening, 2011
www.elli-radinger.de/html/wolfskuss.html
Eine Kanadareise der Superlative.
Außergewöhnliche Begegnungen mit drei verschiedenen Kaniden
Die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe führte vom 5. bis 16. Februar 1998 zum ersten Mal eine Reise in die kanadischen Rocky Mountains durch. Nach Rückkehr der aus acht Personen bestehenden Reisegruppe überwog dann auch die Skepsis der erwartungsvoll fragenden Leute: Na, habt ihr sie gesehen? Wen gesehen? Was gesehen? Ja, wir haben die Wölfe gesehen. Nicht nur einmal, sondern mehrfach. Aber nicht nur sie. Wir hatten einmalige Begegnungen mit unterschiedlichen Caniden – dem Wolf (Canis lupus), dem Kojoten (Canis latrans) und schlossen zudem diverse Schlittenhunde (Canis lupus f. familiaris) in unser Herz. Doch erst einmal der Reihe nach.
Unser Flugzeug landet pünktlich auf dem Flughafen Calgary und die bestellten Mietwagen bringen uns zum Bestimmungsort Canmore, der, umgeben von einer malerischen Gebirgslandschaft in unmittelbarer Nähe zum Eingang des Banff-Nationalparks gelegen ist. Am nächsten Morgen informieren uns die im Wolfsprojekt der Zentral-Rocky-Mountains arbeitenden Biologen über den derzeitigen Aufenthaltsort eines achtzehnköpfigen Wolfsrudels. Direkte Sichtung: Fehlanzeige. Die Wölfe hatten in der Nacht zuvor einen Wapiti-Hirsch gerissen. Sicherlich vollgefressen verbrachten sie laut Telemetrie-Koordinationsdaten dösend und inaktiv ihre Zeit in einem nicht durchsichtigen Waldstück. Bereits am 7. Februar kommt die Wende. Unsere Gruppe überprüft mittels diverser Ferngläser die Lage auf einem zugefrorenen See. Hier war das Wolfsrudel in den Wintern zuvor mehrfach gesichtet worden. Reiseteilnehmerin Marion ist noch etwas unschlüssig, doch dann beginnt sie, zu zählen: Eins, zwei, acht, zehn, fünfzehn, sechzehn. Nein, es sind keine undefinierbaren dunklen Punkte, denn sie bewegen sich. Wenn auch mehrere Kilometer entfernt, erspähen nach und nach auch die übrigen Reiseteilnehmer die gemächlich durch den Nebel trottende Karawane. Wir haben das Rudel ausgemacht und beobachten es, begleitet von heftigem Herzklopfen, über eine Viertelstunde. Dann ist der Spuk wieder genauso schnell vorbei, wie er begonnen hat. Die erste Begegnung mit Canis lupus in freier Wildbahn hinterlässt zufrieden strahlende Gesichter und innerlich ein unglaublich entspannendes Glücksgefühl. Reiseteilnehmer Martin, dessen 6000 DM teures Fernglas Bemerkungen der Superlative erntet, wird spontan umgetauft: Fortan heißt er nur noch „Eagle Eye“, das Adlerauge.
Ansammlungen von Raben bringen uns auf die Spur der eigentlich schon längst erwarteten Kojotensichtung. Ein Vertreter der zweiten in Nordamerika wild vorkommenden Kanidenform liegt gut sichtbar in der Nähe eines Waldrandes völlig entspannt in einer eigens geformten Kuhle auf einem zugefrorenen See. Es handelt sich um den mir aus Sommerbeobachtungen bestens bekannten Rüden, seine Gattin machen wir denn auch nicht weit entfernt im Wald aus. Bereits nach drei Tagen kann die Reisegruppe beide im Nationalpark frei lebenden Kanidenformen auf der Wunschliste abhaken. Glück muss man haben. Glück nur dem, der es verdient?
Mein kanadischer Freund Steve Wadlow zeigt den interessierten Reiseteilnehmern Hunderte, meist weibliche Wapiti-Hirschkühe (vergleichbar mit unserem Rotwild), diverse Dickhornschafe, unterschiedliche Rehwildarten und Adler. Dazwischen beobachten wir ein Kojotenpaar, das auf permanenter Futtersuche durch den nahe der Stadt Banff gelegenen, still verträumten Golfplatz schlendert. Der Rüde bahnt die Spur durch Tiefschnee, die Kojotin trottet im Abstand von wenigen Metern hinterher. Dieses Pärchen wurde berühmt, weil es während der Aufzucht im Sommer regelmäßig gestohlene Golfbälle zur Höhle trägt, wo die Welpen das neue Spielzeug begeistert entgegennehmen. Familie Kojote hat den mehrere Kilometer umfassenden Golfplatz zum Revier erklärt und erbeutet mitunter sogar kränkelnde beziehungsweise verletzte Wapiti-Hirschkühe. Den mit stattlichen Geweihen ausgestatteten Hirschmännchen geht man lieber aus dem Weg, die Verletzungsgefahr ist halt doch ein wenig zu hoch. Auch in anderen Regionen des Nationalparks beobachten wir regelmäßig Kojoten und bestaunen ihr angepasstes Verhalten.
Da hat es der Wolf schon schwerer. In unmittelbarer Nähe der Stadt lässt er sich nicht blicken, sodass direkte Sichtungen sehr selten sind. Und dennoch: Am 10. Februar empfängt
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