Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
der Telemetriereceiver starke Signale. Die Wölfe müssen ganz in der Nähe sein. Innerhalb einer zugefrorenen Sumpflandschaft entdecken wir Reste eines Hirschkadavers, der sowohl von einer ganzen Rabenhorde als auch von Stein- und Weißkopfseeadler stark besucht wird. Geduldiges Ausharren auf einer Anhöhe bringt letztlich den erwünschten Erfolg: Gegen vierzehn Uhr sichten wir den Alpharüden. Er schleicht sich völlig lautlos an den Kadaver, verscheucht lästige Raben und legt sich gemütlich zum Fressen nieder. Wie ein Geist tritt die Alphawölfin aus der schützenden Deckung des Waldes, bleibt in einigem Abstand zum Rüden im Schnee liegen und überprüft die Umgebung sehr genau. Sie ist körperlich in ausgezeichneter Verfassung. Es ist die Wölfin Aster, die ich inklusive ihrem jeweiligem Nachwuchs jeden Sommer seit nunmehr vier Jahren beobachte. Es kommt ein beruhigendes Gefühl auf, Aster wohlauf zu sehen. Wir beobachten die Wölfe über mehrere Stunden. Der Alpharüde wälzt sich im Kadaver, uriniert um und auf die Nahrungsquelle. Dann reißt er ein Stück heraus, trottet zur Wölfin und präsentiert ihr schwanzwedelnd dieses Geschenk. Der Rüde nimmt den Liegeplatz ein und Aster läuft zum Kadaver, verscheucht hin und wieder anwesende Raben, frisst ein paar Brocken und wälzt sich genüsslich. Die Aktionen verlaufen ritualisiert und wie aus dem Lehrbuch. Langsam bricht die Dämmerung herein, und wir können die Wölfe nur noch schemenhaft erkennen. Die Reiseteilnehmer sind begeistert: direkte Wolfsbeobachtungen auf einen Kilometer Entfernung.
Mit Hilfe von Teleskop und Fernglas ist es kein Problem, jede Interaktion der Wölfe nachzuvollziehen. Einige Leute probieren ihre Videokameras mit großem Erfolg aus, über ein zweiundvierzigfaches Zoom kann man jede Gestik genau erkennen.
Am nächsten Tag wollen die Wölfe gerade die Untertunnelung der Kanada-Autobahn One aufsuchen, sodass wir den Alpharüden mehr zufällig nur wenige Meter entfernt am Waldrand stehend entdecken. Danach sind die Wölfe wieder für einige Tage verschwunden. Wir freuen uns aber schon auf die Begegnung mit der dritten Kanidenart, den Schlittenhunden. Einen ganzen Tag sind wir mit fünf Schlitten und je zehn Hunden in der kanadischen Wildnis unterwegs und lernen ein wenig, die Schlittengespanne zu lenken. Pure Gaudi ist angesagt. Mittagspause am Lagerfeuer, freundliche Kanadier und völlig entspannte Hunde während der Laufpausen. Hier sehen wir noch Huskies und Alaskan-Malamutes des alten Schlages, keine auf Rennmaschinen hochgezüchtete Nervenbündel. Hier sind die Musher um das Wohlergehen jedes einzelnen Tieres sehr bemüht, überprüfen regelmäßig deren Gesundheitszustand und legen angebrachte Pausen ein. Die Hunde sind von ihrer Arbeit sichtlich begeistert und zeigen immer wieder an, dass sie rennen wollen. Dennoch ist Besonnenheit gefragt, denn auch wenn man es bei winterlichen Außentemperaturen kaum vermuten würde, haben unsere Hunde das Problem, sich wohldosiert ihrer Körperhitze zu entledigen. Sie sind im Gegensatz zum Menschen eben keine Porenatmer. Erfahrene Hunde, wie unser Leithund Willy, teilen ihre Energie je nach Geländeform geschickt ein. Am Ende des unvergessenen Ausflugstages nehmen wir erstaunt zur Kenntnis, dass die Hunde trotz dreistündiger Pause fast fünfzig Kilometer Entfernung überbrückt haben. Wir unterhalten uns noch ein wenig über die Wölfe aus der Region, die die Musher jedoch äußerst selten zu Gesicht bekommen, auch wenn man sie hin und wieder heulen hört. Der Abschied von den Hunden ist angesagt. Die interessiert allerdings nur noch ein warmes und gemütliches Ruheplätzchen.
Mein Freund Steve stimmt uns schon einmal auf das nächste Ereignis ein. Ein Besuch im Reservat der Stoney-Indianer und besonders in deren Schule ist keine Selbstverständlichkeit. Nur weil Steve die Stoneykinder hier mehrere Jahre lang unterrichtete, erhielt unsere Gruppe eine Sondergenehmigung, unter anderem auch am Unterricht teilnehmen zu dürfen. Wir merken sehr schnell, dass jegliches Bild einer in Deutschland vorherrschenden Indianerromantik mit der Realität nichts gemein hat. Die Kinder schwanken zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen, ihr Inneres unterliegt einem deutlichen Zwiespalt: Stoney-Sprache und -Kultur auf der einen, Konsumwelt auf der anderen Seite. Die Vermittlung indianischer Kunst soll nun helfen, zukünftige Perspektiven aufzuzeigen. Die Instabilität der Stoney-Schüler hinterließ in uns
Weitere Kostenlose Bücher