Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
Westeuropäern ein Gefühl von Traurigkeit und Wehmut. Ein alter Klanchef, Leiter der Gesamtschule, informierte tief betroffen über die Geschichte und die zu erwartende Zukunft seines Volkes. Hoffnung gaben dann jedoch wieder jene Schülerinnen, die uns mit leuchtenden Augen einige Grundbegriffe der Stoney-Sprache vermitteln wollten und sich anschließend über unsere merkwürdige Aussprache amüsierten. Innerhalb des Reservates trifft man auf Horden von halbwilden Straßenhunden, die ein hartes Leben führen. Ständig auf der gezielten Suche nach Nahrung und geschützten Unterkünften zur Reproduktion, zeigen die meisten Dorfhunde starkes Meideverhalten gegenüber Menschen. Der harte Überlebenskampf findet außerhalb menschlicher Hausstände statt und gestattet dem Hundenachwuchs nur restriktive Verbreitungsmöglichkeiten. Unser kanadischer Begleiter Steve hat zwei Tiere aus Indianerreservaten aufgenommen, die inzwischen alle Privilegien von modernen Haushunden genießen.
Zurück zu den Wildkaniden. Mehrere Sichtungen diverser Kojoten unterstreichen die Tatsache, dass diese Tiere perfekte „Abstauber“ sind, da sie geruchlich zielgerichtet weit verstreute Kadaver finden und somit im Naturkreislauf eine wichtige Rolle spielen. Wiederum sind es Raben, die den Kojoten als „erhöhte Augen“ dienen und deren Gezeter um verendete Huftiere als hervorragendes Signal genutzt wird. Canis latrans nutzt im Banff-Nationalpark alle ökologischen Nischen, die sein großer Verwandter Wolf wegen seiner großen Scheu vor dem Menschen nicht besetzen kann. Kojoten wissen zudem, dass sich die regionale Hirschpopulation während des langen und harten kanadischen Winters um die Stadt Banff konzentriert. Jahreszeitlich begrenzt rotten sich zuweilen mehrere Tiere innerhalb eines Rudels zusammen und greifen durchaus erfolgreich geschwächte Wapitikühe oder junge, unerfahrene Hirschbullen an.
Bis zum 13. Februar haben wir keinerlei Kontakt zu den Wölfen. Am nächsten Morgen empfangen wir endlich wieder vielversprechende Signale, die hochgradig motivierend wirken. Im fünfzehn-Minuten-Takt überprüfen wir den Standort der Wölfe, der sich jedoch nicht um ein Grad verändert. Nun ist Geduld gefordert. Die Wölfe nutzen sicherlich den sonnigen Vormittag, um sich – von uns unbemerkt – auszuruhen. Von einer Anhöhe aus haben wir einen optimalen Blick über die vor uns liegende Seenlandschaft. Wir warten und warten, Stunden vergehen. Dann ist es endlich soweit.
Genau um siebzehn Uhr tritt die Alphawölfin aus dem nur fünfhundert Meter entfernten Waldrand und trottet ohne jegliche Hast gemütlich über den zugefrorenen See. Es dauert einige Minuten, bis wir auch den Alpharüden an seiner unverkennbaren Maske identifizieren können. Die Alphawölfin schaut sich mehrfach nach dem Rüden um. Wedelnd hält sie kommunikativen Kontakt und ergreift die Initiative. Sie läuft zu einem einige Hundert Meter entfernten Hirschkadaver. Voller Spannung beobachten wir die Szene. Viel ist von dem verendeten Hirsch nicht übrig geblieben, denn Adler, Elstern und Raben haben bereits ganze Arbeit geleistet. Am Kadaver angekommen, verscheuchen die Wölfe zunächst einmal die ihnen lästigen Nahrungskonkurrenten. Mühelos und ohne Kraftanstrengung zieht die Alphawölfin das komplette Knochengerüst einige Meter durch den Schnee, ehe sie einen großen Brocken aus dem Kadaver reißt. In aller Ruhe sind Beuteschütteln und anschließendes Konsumieren angesagt. Hungrig scheinen unsere Wölfe nicht zu sein, denn ihre körperliche Verfassung ist ausgezeichnet. Der Rüde legt abseits des Kadavers eine kleine Ruhepause ein. Wir beobachten anschließend freundliche Kontaktaufnahme, Nasenkontakt und Schnauzwinkellecken. Rüde und Wölfin zeigen Parallellauf, schwanzwedelnde Spielaufforderungen und Zuneigung. Unverkennbar hat die Paarungszeit begonnen. Über zwei Stunden beobachten wir fasziniert und überglücklich unsere „Flitterwöchner“, bis wir mit Einbruch der Dunkelheit nichts mehr erkennen können.
(Günther Bloch; Wolf Magazin 1/98)
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„Wölfisch für Hundehalter. Von Alpha, Dominanz und anderen populären Irrtümern“
Günther Bloch & Elli H. Radinger, Kosmos 2010
www.elli-radinger.de/html/woelfisch.html
Mit Wölfen in der hohen Arktis
Die Wolfsbiologin Diane Boyd reiste im Sommer 1991 in die Hohe Arktis, um ihren Kollegen L. David Mech und Nora Gedgaudas bei der Beobachtung von Wölfen zu helfen. In diesem Polargebiet folgen
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