Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit den Augen der Fremden

Mit den Augen der Fremden

Titel: Mit den Augen der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
Vom Netzwerk:
Bela ihn überrascht beobachtete.
    „Was trauerst du?“ fragte Bela. „Es ist eine große Ehre.“
    „Ich weiß. Es ist nur – ich spüre plötzlich, wie die Zeit verstreicht“, sagte Jason. Jetzt saß der Kilt.
    „Du sprichst wie ein Mann, der bereits ein ehrenwertes Alter erreicht hat“, sagte Bela, der ihn immer noch betrachtete.
    „Tatsächlich?“ fragte Jason, immer noch etwas bitter. „Ich bin bereit. Führst du mich?“
    „Ich führe dich ins oberste Stockwerk des Schlosses und zeige dir den Weg“, sagte Bela. „Weiter kann ich nicht mit dir gehen, und keiner aus der unmittelbaren Familie kann in Ehren Führer eines Zweitvetters sein. Komm.“
    Er führte Jason aus dem Zimmer, durch Korridore, zwei weitgeschwungene Rampen hinauf bis zu einer schweren, hohen, weißen Tür mit einem goldenen Griff. Bela nahm den Griff, drehte ihn und schob mit einiger Mühe die Tür weit genug auf, um Jason hindurchzulassen.
    „Der Brutogas hat vier Helfer, die solche Türen öffnen“, sagte Bela und schnitt eine Grimasse. „Geh schnell durch.“
    Aber Jason zögerte einen Augenblick. Durch die zum Teil geöffnete Tür erblickte er einen langen Korridor aus weißem Marmor, der rechts von hohen Fenstern durchbrochen war. Durch die Fenster verlor das Morgenlicht seine weiße Härte auf dem Marmor und wurde weich und sanft.
    „Beeil dich!“ wiederholte Bela, der sich immer noch gegen das Gewicht der Tür stemmte. „Wasser, Schatten und Frieden seien mit dir.“
    „Ich danke dir, Vetter“, sagte Jason dankbar und trat in den von der Sonne erhellten Korridor. Hinter sich hörte er, wie die Tür mit einem feierlichen Dröhnen zufiel. Aber er sah sich nicht mehr um. Bela hatte ihm den Weg zum Arbeitsraum des Brutogas beschrieben, und diesem Weg folgte er jetzt.
    Da es früh am Morgen war, begegnete ihm auf dem ganzen Weg kein einziges Mitglied der unmittelbaren Familie. Als er schließlich die kleine weiße Tür mit dem goldenen Drehknopf erreichte, die sein Ziel war, erwachte in ihm die Erinnerung.
    Er erinnerte sich an das einzige Mal in seinem Leben, da er hier gewesen war – und der einzigen Gelegenheit, die einem normalerweise dafür gegeben ist, wenn man nicht der unmittelbaren Familie angehört. Es war am Tag seiner Namensgebung gewesen, in der traditionellen dritten Stunde, nachdem er den Beutel seiner Mutter verlassen hatte. Natürlich hatte er seitdem den Brutogas bei einer Anzahl von Familienzeremonien gesehen – aber nie aus der Nähe. Doch jetzt, als seine Hand nach dem goldenen Türgriff tastete, kam alles zurück. In diesem Augenblick war das Familienoberhaupt plötzlich nicht mehr der grau werdende, etwas vornübergeneigte Mann ehrenwerten Alters, den er bei Zeremonien gesehen hatte, sondern eine geheimnisvolle, hochaufragende Gestalt, die eine Hand auf seinen Kopf gelegt und irgendwelche tiefen, unbegreiflichen Laute dröhnend von sich gegeben hatte, von denen er erst später erfuhr, daß sie „Kator, Zweitvetter Brutogas“ bedeutet hatten.
    Jasons Kehle zitterte unter seinem schwarzen Pelz. Er legte seine Hand auf den Griff, öffnete die Tür, ohne zu sprechen – denn hier im obersten Stockwerk gab es keine Schlüsselträger, keine Schlösser und keine Türsprecher –, und trat ein.
    Der Raum war kleiner, als Jasons Erinnerung ihn gemacht hatte. Vor dem großen Fenster hockte der Brutogas auf einem niedrigen Podest hinter seinem Schreibtisch. Er war genauso, wie Jason ihn von den Familienfeiern her in Erinnerung hatte – ein grauer, nach vorne geneigter Ruml von ehrenwertem Alter. Jason trat vor den Tisch und neigte den Kopf. „Ich bin Kator Zweitvetter, Ehrenwerter“, sagte er.
    Der Brutogas sah ihn beinahe nachdenklich an.
    „Ja“, meinte das Familienoberhaupt schließlich. „Du warst ein aktiver Junge. Sie konnten dich an deinem Namenstag hier kaum still halten. Nun …“ Er schob die Papiere auf seinem Schreibtisch beiseite. „Es ist zu uns gedrungen, daß du den Ehrgeiz hast, die Expedition zu leiten, die in Kürze zur Heimatwelt der Verhüllten Leute ausgeschickt werden soll.“
    „Ehrenwerter?“ sagte Jason ausdruckslos.
    „Du weißt es nicht? Das ist der Name, den sie jenen Fremden angehängt haben, von denen das Artefakt stammt, das du gefunden und zurückgebracht hast. Anscheinend deshalb, weil sie sich in Tücher hüllen. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Willst du die Expedition leiten?“
    „Ehrenwerter“, sagte Jason vorsichtig, „ich habe keine Ahnung,

Weitere Kostenlose Bücher