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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Jacke anzog, war ihr Blick wie eine Spiegelscherbe. Sie ging mit bis zur Wohnungstür.
    «Ich bin ganz vorsichtig», versprach ich.
    «Du bist völlig übergeschnappt», sagte Hanne tonlos und schloss die Wohnungstür hinter mir.
Den Wagen stellte ich ein paar hundert Meter von Koskas Grundstück entfernt ab. Es war so verdammt still, kein Mensch, keine Deckung auf der Straße. Eine Gegend so tot wie ein alter Friedhof. Mir war kalt, aber vielleicht war es nur die Müdigkeit, die mich frieren ließ. Eine Taschenlampe, eine geladene Pistole und Herzklopfen bis in die Fingerspitzen.
Wo steht geschrieben, dass Polizisten keine Angst haben? Ich hatte erbärmliche Angst, auch um mich, aber mehr um andere. Ella Godberg, etwa Hannes Größe, nur zierlicher und dunkelblond. Ich hatte sie nie gesehen und sah die ganze Zeit ihr Gesicht vor mir. Ein feines, schmales Gesicht mit hellem Teint und dunklen Augen, älter und weiblicher als das von Sven, ansonsten gleich. Und ich hörte die ganze Zeit Olivers Stimme. «Tante Ella hat geweint.» Ja, natürlich, letzte Woche Montag, vor Schmerzen und Todesangst. Und am Samstag, als Maren sie bluten ließ. Oder hatte sie da vor Entsetzen keine Tränen mehr gehabt?
Was ich Hanne versprochen hatte, zählte nicht. Auch wenn jemand da war. Ich konnte doch eine gepeinigte Frau, die meinem Sohn schon so viele Mittagessen spendiert hatte, nicht hilflos einem Tier überlassen. Dabei kam ich mir selbst so hilflos vor, ein Zwerg mit einer Pistole, deren Kugeln einem Dinosaurier höchstens die Schuppenhaut zerkratzten.
Es war lächerlich, diesen Vergleich zu ziehen, aber ich kam nicht dagegen an, wünschte mir, ich hätte Jochen dabei und Rudolf und Thomas Scholl und ein Dutzend anderer, von denen ich wusste, dass man sich auf sie verlassen konnte. «Du bist völlig übergeschnappt», flüsterte Hanne die ganze Zeit neben mir. Sie hatte – verdammt nochmal – Recht.
Irgendwo schlug ein Hund an. Er war zu weit weg, als dass er mich hätte meinen können, aber er machte mich noch vorsichtiger. Endlich am Ziel. Der Hund hatte sich wieder beruhigt. Von den beiden Wagen und den vier Kollegen, die Rudolf hingeschickt hatte, sah ich nichts. Wahrscheinlich steckten sie irgendwo in Deckung nahe der Zufahrt.
Ich näherte mich dem Grundstück von der Rückseite. Dort gab es theoretisch keinen Weg aufs Gelände. Doch der Maschendrahtzaun war leicht zu überwinden, stellenweise defekt oder von den Pfosten gelöst. Ich musste ihn nur anheben und drunter durchkriechen, trat behutsam auf, tastete mit der Schuhspitze den unebenen Boden ab, bevor ich den betreffenden Fuß belastete, um den nächsten Schritt zu tun. Die Taschenlampe zu benutzen, wagte ich nicht. Die drei Autos ohne Kennzeichen waren seit Sonntag nicht bewegt worden. Ich warf in jedes einen langen Blick, um sicherzugehen, dass niemand drinlag.
Beim Schaufellader legte ich eine Pause ein, hockte mich neben einen der Vorderreifen und wartete – mit einer Schuhsohle in einem Haufen Hundescheiße, soll ja Glück bringen. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde, alles blieb ruhig. Einmal ganz langsam um das Haus herum. Ich erreichte den Abgang zum Keller. Daneben befand sich dicht über dem Erdboden ein von einem Strauch größtenteils verdecktes, nur angelehntes Kellerfenster, unvergittert. War ich doch nicht umsonst in die Hundescheiße getreten.
Ich drückte den Strauch zur Seite, hockte mich so hin, dass ich das Fenster mit dem Körper verdeckte, streckte den Arm hinein, ließ einmal kurz die Lampe aufflammen und den Strahl wandern. Ein ganz normaler Kellerraum, leere Regale an den Wänden, ein paar Stapel alter Zeitungen in einer Ecke. Der Boden war gefliest und mit dicken Staubflusen bedeckt.
Ich stieg ein und tastete mich im Dunkeln bis zur Tür vor. Sie war geschlossen. Als ich behutsam die Klinke nach unten drückte, knackte es leise. Die Tür schwang auf, ohne ein weiteres Geräusch zu verursachen. Ich machte zwei Schritte in den stockfinsteren Gang hinein, blieb stehen und horchte. In meinen Ohren summten der Kaffee und die Übermüdung. Rundum war es so schwarz, dass ich grüne und rote Punkte flimmern sah. Mein Pulsschlag beschleunigte sich. Noch ein Versuch mit der Lampe, rasch und ängstlich. Der Strahl holte vier Türen und den Treppenaufgang zum Erdgeschoss aus der Finsternis.
Die Türen waren alle zu. Ich öffnete vorsichtig eine nach der anderen, ließ anschließend immer ganz kurz den Strahl der Lampe wandern und hoffte,

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