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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Einladung zum Klassentreffen aufgeregt. Weil sie voraussetzte, dass Maren erschien. Eine weite Anreise hätte sie wahrhaftig nicht gehabt.
    Der Vormittag hatte bereits kräftig an meinen Nerven gezehrt. Aber jetzt war glücklicherweise Platz genug. Ich stand vom Sofa auf und ging. Als ich an der Küchentür vorbeikam, drehte Hanne sich mit tropfenden Händen und wundem Blick zu mir um. «Gehst du schon, Konrad?» Ich nickte nur.
    Eine Viertelstunde später stieg ich in meinen Wagen und fuhr ins Gewerbegebiet. Was mich dort hintrieb, war das gleiche Verlangen, das mich vor zwanzig Jahren veranlasst hatte, nachmittags zum Sportplatz zu schleichen, das Gebüsch dort nach Maren und einem Viertel Dutzend Spielgefährten abzusuchen und alle Heiligen im Himmel anzuflehen, dass ich niemanden fand.
    Meinen Wagen stellte ich bei einem Tapetenmarkt ab, ging zurück Richtung Boelcke-Kaserne. Es gab noch genügend Bäume rund um Koskas Grundstück, hinter denen man Deckung beziehen und sich in Ruhe umschauen konnte. Der Zaun aus Maschendraht hing zwischen den ehemals grün gestrichenen, jetzt rostenden Pfosten durch. Das breite, weit offene Tor, ebenfalls aus Maschendraht, war halb zur Seite gekippt. Alles machte einen heruntergekommenen Eindruck.
    Der klotzige Bau mitten auf dem Gelände wirkte verlassen. An sämtlichen Fenstern waren die Rollläden unten. Das sah nicht danach aus, als sei das Haus seit März wieder bewohnt. Gerüchte, dachte ich, nichts als Gerüchte. Mutter schnappt etwas auf und verbreitet es als nackte Tatsachen weiter.
    Es stand noch einiges herum, was der sozial eingestellte Fred Pavlow vielleicht niemandem hatte andrehen mögen. Ein paar vor sich hin rostende Baumaschinen. Planierraupe, Schaufellader, ein Bagger und zwei verrottete Laster, dazwischen drei alte Autos. Ein weißer Nissan, ein blauer VW-Polo und ein grauer Golf.
    Ich wagte mich näher heran. An keinem der Fahrzeuge gab es Kennzeichen. Nirgendwo stand ein neuer, silberfarbener Omega, nirgendwo ein roter Golf. Es war wie das Auftauchen eines Ertrinkenden, wenn der Rettungsschwimmer ihn gerade noch erwischt hat. Luft schnappen und langsam zurück auf festen Boden. Leider hielt meine Erleichterung nur knappe zehn Minuten vor.
    Auf der Rückfahrt kam mir kurz hinter der Kreuzung, bei der man abbiegen musste, um zur Boelcke-Kaserne oder Koskas Grundstück zu gelangen, der rote Golf entgegen. Im Kennzeichen das BM, das jedes im Erftkreis zugelassene Fahrzeug trug. Aber es war unzweifelhaft das Auto, in dem Maren und ich eine gute Woche zuvor unsere Abschiedsorgie begonnen hatten. Ich erkannte es an der zerschrammten und eingedellten Fahrertür.
    Am Steuer saß ein schmächtiges Bürschchen mit Lederjacke, dunklem Haar und schmalem Gesicht. Südländischer Typ. Vermutlich der Jugendliche, den Godbergs aufmerksame Nachbarn vor dem Einstieg in seinen Keller zweimal gesehen hatten. Auf dem Beifahrersitz ein Bulle von Kerl. Sein Gesicht konnte ich im Vorbeifahren hinter der spiegelnden Frontscheibe nicht so deutlich erkennen, dass ich eine Zeichnung von ihm hätte anfertigen lassen können. Aber dass er eine Sonnenbrille und einen schwarzen Vollbart trug, war nicht zu übersehen. Olli hatte ein sehr gutes Personengedächtnis und zeichnete für sein Alter auch ganz passabel.
    Im Rückspiegel sah ich noch, dass der Golf den Blinker setzte und abbog. Und plötzlich war ich nur noch müde, ganz lahm und schwer in den Knochen, das Hirn wie ein Ballon aufgeblasen und mit Watte ausgestopft. Es hätte mich nicht gewundert, wenn plötzlich ein Dinosaurier quer über die Straße gelatscht wäre.
    Ich hatte das Gefühl, in einem großen Fass zu stecken. Es war mit zähflüssigem Sirup gefüllt. Und ich paddelte hilflos wie ein Insekt darin herum, zog Schlieren in dem klebrigen Brei, schnappte nach Luft und spürte, es war alles vergebens.

DRITTER TEIL
    Nun brauchte ich dringend Hilfe, einen Menschen zum Reden, Jochen Becker, wen sonst? Er könnte genug Abstand bewahren, dachte ich, um die ganze Sache objektiv zu betrachten und nicht ebenfalls zu ersticken in der Pampe.
    Ich fuhr zu unserer Wohnung, um alles noch einmal in Ruhe zu überdenken: Olivers Andeutungen, sein Gestammel nach dem Albtraum, meine Eindrücke und ein roter Golf mit zwei verschiedenen Kennzeichen, der bewies, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Wenn ich meinen Verdacht, Ella Godberg könne möglicherweise am vergangenen Montag nicht von ihrem Bruder aus dem Haus geholt worden sein, aus

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