Mit den Augen eines Kindes
während sie zu einem Sessel ging, «ist keine Garantie.» Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander, zupfte den Bademantel darüber und hielt den Blick auf ihre bedeckten Knie gerichtet.
«Willst du eine Garantie?», fragte ich.
Sie lächelte geringschätzig. «Nach allem, was ich weiß und heute nochmal gehört habe, scheint mir das nicht sehr sinnvoll. Das Weib ist eine Naturkatastrophe. Dagegen ist man machtlos. Man kann nur hoffen, dass die Katastrophe schnell vorüberzieht und man mit einigermaßen heiler Haut davonkommt.»
Der Bademantel störte mich. Er war wie eine Wand aus Stahlbeton. Dass sie in einem Sessel saß statt neben mir auf der Couch wie sonst, störte mich noch mehr. Und am meisten störte mich, dass ich darüber erleichtert war. Ich hätte an dem Abend nicht mehr den feurigen Liebhaber spielen können.
Sonntag, 1. Juni
Den Vormittag brachten wir mit viel Mühe und wenig Anstand hinter uns. Hanne war verletzt, natürlich war sie das. Aber sie bemühte sich um Haltung. Im Grunde war sie großartig. Und ich war fest entschlossen, nun, wo es auf Messers Schneide stand, war ich das wirklich. Eine seit sieben Jahren prächtig funktionierende und harmonische Beziehung setzte man doch nicht aufs Spiel, für eine weitere Nummer mit einer Maren Koska. Nicht einmal mehr zum Abschied.
Sollte sie sich noch einmal bei mir melden, wollte ich ihr das unmissverständlich klar machen – und vielleicht noch ein paar Fragen stellen. «Warst du am Samstag bei Alex Godberg? Was hattest du bei ihm zu tun? Wo ist seine Frau?»
Nachmittags saßen wir noch einmal im Kreise der gesamten Familie eingeklemmt um zwei gedeckte Tische im Wohnzimmer meiner Eltern. Für große Feiern wurde immer der Küchentisch dazugeholt und alles an Sitzgelegenheiten herangeschleppt, was verfügbar war. Sodass, wer als Erster erschien und sich leichtsinnigerweise auf die Couch setzte, sich erst entfernen konnte, wenn alle anderen aufgestanden waren und das Mobiliar größtenteils beiseite geräumt war.
Eine knappe Stunde lang ging es gut. Jeder war mit Kaffee und Torte beschäftigt. Hannes Kirschkuchen fand reißenden Absatz. Für die Diesellok bekam sie einen Kuss auf die Wange. Mein Vater küsste sonst nie vor Zeugen. Matthias und Ludwig mussten sich jeweils mit einem Händedruck begnügen. Aber Matthias schenkte auch nur drei Päckchen Schienen und Ludwig den Bausatz einer Lagerhalle, die vom Stil her absolut nicht zu der alpinen Landschaft passte, die Vater seit Beginn seines Rentenalters zusammengebastelt hatte. Es musste trotzdem ein Platz für das Ding gefunden werden.
Vater und Ludwig begaben sich ins ehemalige Kinderzimmer, seit Jahren das Eisenbahnzimmer genannt. Insgesamt fünf Kinder folgten ihnen. Im Wohnzimmer wurde es luftiger. Hanne und meine Schwägerinnen machten sich daran, die Tische abzuräumen, und marschierten geschlossen in die Küche, um mit vereinten Kräften das Geschirr abzuspülen, die Reste der Torten zu verstauen und den vorbereiteten Salaten den letzten Schliff zu geben. Zurück blieben Mutter, Matthias und ich.
Es kam, was kommen musste, die zweite Belehrung in Sachen Vernunft und Verantwortungsgefühl. Hätten sie doch nur den Mund gehalten. Warum mussten sie in einer entzündeten und vereiterten Wunde stochern? Und das ihrem Wissensstand nach auch noch vorbeugend. Hanne hatte mit keiner Silbe angedeutet, das Kind sei bereits in den Brunnen gefallen.
Matthias eröffnete mit einer Erinnerung an die Liste, die er in jungen Jahren erstellt hatte. Nun setzte er die beiden Punkte Frau und Sohn darauf, die ich um keinen Preis der Welt hergeben wollte, aber seiner Meinung nach nun musste, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Hanne es sich gefallen ließ, mit einer Nutte betrogen zu werden.
«Du musst nicht glauben, dass du hier nochmal einziehen kannst, wenn Hanne dich rauswirft», griff Mutter den Faden auf und knüpfte im Eifer des Gefechts einige Details ein, die sie sich am vergangenen Nachmittag verkniffen hatte.
Ihre Überzeugung, dass Maren im März nicht nur einen Fiesling aus Hamburg in ihrem Elternhaus einquartiert hatte. Nein, das waren zwei. Lichtscheues Gesindel, das man nie zu Gesicht bekam. Nur der Himmel wusste, was die da ausheckten. Und das Weib war auch jedes Wochenende da. Das war eine von Frau Pavlow übermittelte feststehende Tatsache. Mutter hatte schon Blut und Wasser geschwitzt, als sie es Ende März beim Lidl zum ersten Mal hörte. Deshalb hatte sie sich so über die
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