Mit den Augen eines Kindes
verstanden, als – hieß der nicht Schröder? Nein, Mettmann. Nein, Krings oder so ähnlich –, sie heimbrachte, nachdem er sie mit einem Reisenden in der Gleisunterführung erwischt hatte.
Das musste man sich mal vorstellen, da liefen Dutzende von Leuten durch. Und dieses Aas stand da mitten im Volk und ließ sich betatschen für einen Zehnmarkschein. Den Kerl hatte das natürlich erheblich mehr gekostet, Schröder, Mettmann, Krings oder so ähnlich hatte ihn rangenommen wegen Unzucht mit einem Kind, wobei bezweifelt werden durfte, dass Maren jemals ein Kind im Sinne von Unschuld gewesen war, dafür hatte sie wohl die falschen Gene.
Ludwig legte Zeugnis ab von der kleinen Katze, die bei der Grundschule angefahren worden war. Er meinte, damals hätte ich mich von Maren noch nicht einwickeln lassen, sondern es ihr ordentlich gegeben. Gemeint war der Hieb mit dem Zweig. Die Doppeldeutigkeit seiner Worte wurde Ludwig nicht bewusst. Aber er hatte Recht, auf andere Weise hätte ich es ihr in dem Alter noch nicht ordentlich geben können. Dazu war ich erst fünf Jahre später fähig gewesen, als das mit der Schraube passiert war. Davon wusste Ludwig nichts, er hatte es ja wie Matthias nicht aufs Gymnasium geschafft.
Aber ich wusste es noch ganz genau, sah das Messer vor mir, das Maren einem Jungen aus der Zehn in die Hand drückte, sah ihren lüsternen Gesichtsausdruck, als der Knabe das Messer ansetzte und Anstalten machte, die Klinge in einen Autoreifen zu stoßen. Im letzten Moment fiel sie ihm in den Arm.
«So doch nicht. Das macht man ganz anders.»
Der Autoreifen gehörte zum Wagen eines Oberstudienrats, von dem der nach Rache dürstende Knabe eine Note in Mathe kassiert hatte, die er daheim nicht gerne vorzeigen wollte, aber zwangsläufig musste – zur Unterschrift eines Erziehungsberechtigten. Am nächsten Tag brachte Maren eine Schraube von gut sechs Millimeter Durchmesser mit und klemmte sie so hinter einen der Reifen, dass sie sich beim Zurückfahren automatisch hineinbohren musste.
Ich war nicht dabei. Da sie immer noch von Mami zur Schule kutschiert wurde, traf sie morgens meist ein paar Minuten vor mir ein. Ich hörte erst am nächsten Tag von der Schraube. Peter Bergmann erzählte es mir und prophezeite düster: «Das gibt Tote.» Die Schraube steckte noch im Reifen, und ich brachte Maren dazu, ins Sekretariat zu gehen und es zu melden, ehe der Oberstudienrat mit seinem Auto verunglückte, weil ihm während der Fahrt der Reifen platzte.
Hanne nahm die Aufklärung gelassen zur Kenntnis, wusste ja auch das meiste schon von mir. Nur einmal streifte sie mich mit einem Blick, der alles Mögliche bedeuten konnte. Erst auf dem Heimweg stellte sie in nüchternem Ton fest: «Sie hat gestern bei uns angerufen.»
Ich nickte und fasste Olivers Hand fester. Wir hatten darauf verzichtet, für drei Straßen das Auto zu nehmen. Ich hatte ein paar Bier zum Abendbrot einkalkuliert und nicht damit gerechnet, dass wir uns erheblich früher als geplant verabschiedeten.
«Und du hast dich mit ihr getroffen», sagte Hanne.
«Ja.»
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass nun sie nickte und sich kurz auf die Lippen biss. «Wann siehst du sie wieder?»
«Vermutlich gar nicht.» Mit meiner Mutter oder Hanne erpressen könnte Maren mich nun nicht mehr, dachte ich. Und der Rest sei reine Willenssache. Und verdammt nochmal, ich hatte doch einen Willen, konnte nein sagen.
Auf die üblichen Fragen in solchen Fällen – warum, wie oft, und was hat sie, was ich nicht habe – verzichtete Hanne. Nachdem wir daheim angekommen waren, versorgte sie Oliver mit einem Leberwurstbrot und einem Glas Milch. Dann brachte sie ihn ins Bett, was sonst immer ich tat. Gute zwei Stunden las sie ihm aus seinem Buch vor, erklärte ihm anschließend noch sehr ausführlich einen Meteoriteneinschlag, die vernichtenden Folgen für sämtliche Tiere der Urzeit und ansatzweise die Evolution, woraus Olli schloss, die Rexe seien die Vorfahren böser Menschen.
Danach ging Hanne ins Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Das tat sie sonst nie. Zehn Minuten lang hörte ich dem Wasserrauschen zu. Es rauschte einfach nur, klang nicht, als ob jemand duschte, Zähne putzte oder sonst etwas tat. Und als ich dachte, es keine Sekunde länger auszuhalten, wurde es still, absolut still.
Als Hanne nach mehr als einer Stunde endlich im Wohnzimmer erschien, hatte sie sich in ihren alten Bademantel gehüllt. Den trug sie sonst nur nach dem Aufstehen. «Vermutlich», sagte sie,
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